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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #316
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    Drei Familien: Luxemburg

    Der Junge erhielt als Patenkind des französischen Königs eine hervorragende Ausbildung in Paris und wurde noch 1323 mit Blanca, einer Tochter des französischen Königs verlobt. Als der Kapetinger Charles IV. 1328 starb, erlosch diese Dynastie, der Cousin des Verstorbenen, der Valois Philippe VI., bestieg den französischen Thron (der war übrigens ein Halbbruder von Blanca).



    Da war Karl zwölf Jahre alt. In den folgenden Jahren sollte sich zeigen, dass er sich mit dem neuen König nicht besonders gut verstand. Zwar unterstützte Karl den Anspruch des Valois auf den französischen Thron gegen die englischen Ansprüche - König Edward III. war ein Sohn der Schwester (Isabella) des letzten Kapetingers und zumindest in weiblicher Linie ein näherer Verwandter. In männlicher Linie, das bejahte auch Karl, war aber eben Philippe VI. näher mit den Kapetingern verwandt.



    Persönlich verstanden sich der kleine Karl und der 35jährige Philippe jedoch nicht. Philippe war nicht der Vaterersatz für Karl, wie der alte König es gewesen war, der Valois war ein habgieriger Mann, der mit dem böhmischen Kronprinzen nichts persönliches am Hut hatte.



    Karl fand in dem Abt Petrus von Rogerii (Pierre Roger) eine neue Vaterfigur, die ihn mit seinen Fastenpredigten beeindruckte. Dieser Abt Petrus sollte noch eine kirchliche Karriere hinlegen und später Erzbischof, Kardinal, ja schließlich sogar Papst werden. Diesem Papst verdankte Karl später seine deutsche Königswahl. 1328 aber hörte er zunächst als Zwölfjähriger seine Predigt. Eine zweite enge Beziehung in Paris fand Karl zu Jean, dem Sohn und Thronfolger des Valois Philippe. Die beiden Thronfolger von Böhmen und Frankreich wurden Freunde.



    Die Pariser Kinderzeit ging zu Ende mit der Reise Karls und seiner Gemahlin Blanca 1330 nach Luxemburg. Ein Jahr später ging es auf Geheiß des Vaters nach Italien, wo der 15jährige Karl seinen ersten politischen Auftrag ausführen sollte. Es ging um das Etablieren eines luxemburgischen Herrschaftskomplexes in Oberitalien, den sich die Stadtstaaten sowie Neapel jedoch nicht aufsetzen lassen wollten. Gleich in Pavia erlebte der jugendliche Karl das erste gefährliche Abenteuer, sein Gefolge wurde vergiftet. Nur weil Karl seinen Gottesdienst überzog und das Frühstück zunächst ausfallen ließ, blieb er verschont. Als er nach dem Gottesdienst zur Tafel kam, wurde ihm gemeldet, dass sein Gefolge, besonders jene, die zuvor gegessen hatten, plötzlich ein Unwohlsein befallen habe. Karl blickte umher und ihm fiel ein unbekannter Mann auf, der an der Tafel vorbeiging und der auf Ansprache vorgab, taub zu sein. Darüber fasste Karl Argwohn und ließ ihn festnehmen und foltern. Am dritten Tag gestand der Unbekannte unter der Folter, dass er in der Küche den Speisen Gift beigemischt hatte und nannte den Mailänder Azzo Visconti als seinen Auftraggeber. Was für ein Empfang - zumal wenn man bedenkt, dass Mailand zu dieser Zeit noch zu den italienischen Verbündeten der Luxemburger gehörte!

    Aus den italienischen Ambitionen der Luxemburger wurde nichts, aber Karl nahm neben ersten politischen wie militärischen Erfahrungen ein weiteres prägendes Erlebnis aus dieser Zeit mit. In der Nacht zum 16. August 1333 hatte er einen merkwürdigen Traum. Ein Engel entführte ihn darin und schleppte ihn an den Haaren in der Luft über eine Schlachtenszene. So musste er mit ansehen, wie ein zweiter Engel mit einem Flammenschwert niederfuhr und einen der Gepanzerten aus der ersten Reihe in der Mitte verstümmelte. Der Engel erklärte, das sei der Graf von Vienne, der solchermaßen für seine Ausschweifungen bestraft würde, und auch Karl möge sich hüten. Auch seinem Vater möge er sagen, sich zu hüten vor ähnlichen Sünden, weil ihnen dann noch Schlimmeres bevorstünde. Es war bezeichnend für das Unterlegenheitsgefühl des jungen Karl, dass er am nächsten Morgen dem Kammerherrn seines Vaters und damit auch diesem selbst von der Vision des sterbenden Grafen von Vienne berichtete, aber die Warnung vor den Ausschweifungen unterließ. Seine eigene Lebensführung aber beeinflusste der Traum sehr wohl, Karl wurde sehr fromm und lebte keusch- - ganz im Gegensatz zu seinem Vater, der wohl ein Lüstling war. Die Bestätigung für den Traum war bald die Nachricht vom Tode des Grafen von Vienne.

    Karl IV. war zweifellos abergläubisch, wie wohl fast alle in seiner Zeit. Unkritisch war er aber nicht, wie ein weiteres Ereignis aus dem Jahr 1335 belegt. In Prag wohnte er da noch im Burggrafenhaus, weil der Palastbau noch nicht fertig war. Als er dort mit seinem Kammerherrn gemeinsam in einem Zimmer nächtigte, hörten die beiden zugleich Schritte, ohne jemanden sehen oder aufspüren zu können. Und das trotz eines großen Feuers im Kamin und vieler Kerzen im Raum. Schließlich sei einer der bereitgestellten Weinkrüge auf unerklärliche Weise durch das Zimmer geflogen, gegen eine Wand geprallt und dann mitten im Raum liegengeblieben. Karl IV. berichtete selbst, er habe sich nach längerer Erwartung weiterer Ereignisse schlicht mit dem Kreuzzeichen und dem Vertrauen auf Gott wieder zur Ruhe gelegt. Mutmaßungen über Teufel oder Trolle stellte Karl nicht an.

    Noch deutlicher wurde sein nüchterner Sinn an seinem Bericht von einem Heuschreckenschwarm. Auch darin distanzierte sich Karl von der Furcht seiner Zeit vor dem Geheimnisvollen. Eines Morgens nämlich weckte ihn ein Ritter aus dem Schlaf mit den Worten: „Herr, steht auf, der Jüngste Tag ist angebrochen, weil die ganze Welt voller Heuschrecken ist.“ Das Naturereignis galt als Zeichen der biblischen Apokalypse. Karl selber war augenscheinlich frei von Angst, sofort bestieg er sein Pferd und ritt los, um die Größe des Schwarms abzuschätzen. Er kam auf sieben Meilen Länge und vermochte die Breite des Heuschreckenschwarms gar nicht zu überblicken. Detailliert hielt Karl die Beschreibung fest, wie den Lärm, den die Tiere verursachten, die Farbe und Dichte des Schwarms, der die Sonne verdunkelte, und vergaß nicht, den üblen Geruch zu erwähnen. Auch die Teilung des Schwarms hielt Karl schriftlich fest und machte sich Gedanken über die Vermehrungsfähigkeit der Heuschrecken. Das war eine exakte Naturbeobachtung anstelle von Aberglauben.
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    Geändert von Mark (07. Januar 2018 um 14:24 Uhr)
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  2. #317
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    Drei Familien: Luxemburg

    In der Zeit nach seinem zwanzigsten Geburtstag wurde bei Karl die wachsende Selbständigkeit vom Vater erkennbar, dem er sich bald moralisch aber auch politisch überlegen fühlte. Karl machte langsam selber Politik. Die war geleitet durch sein Wohlwollen gegenüber Frankreich, seine Kooperationsbereitschaft mit den Päpsten sowie der kompromisslosen Ablehnung aller antipäpstlichen Aktionen. Der letzte Punkt richtete sich konkret gegen die Person von des Kaisers Ludwig, aber auch gegen Karls Großonkel Balduin von Trier. Seine Politik stützte Karl auf Böhmen, wo er beim Adel früh Hoffnungen weckte. Okay, dem böhmischen Adel war daran gelegen, den Sohn gegen den Vater auszuspielen, da war er schlicht ein Faktor der Ständefronde. Karl durchschaute die Situation offenbar rasch und wusste bei den Adeligen zwischen den Tyrannen und den Guten zu unterscheiden. Indem es Karl gelang, den widerstrebenden Adel durch sein Engagement für Böhmen schrittweise auf seine Seite zu ziehen, weckte er das Misstrauen Johanns, der darin eine Gefährdung für seine eigene Stellung sah.



    Überraschend und vorübergehend enthob er Karl 1335 und 1338 sämtlicher Zuständigkeiten und Ansprüche, nachdem er ihm noch im Vorjahr den Titel eines Markgrafen von Mähren verliehen hatte. Seit 1342 durch die unheilbare, vollständige Erblindung Johann bedingt, war Karl faktischer Regent in Böhmen geworden. Karls Aufstieg aber vom Erstgeborenen des böhmischen Königs zum römischen König, zum deutschen Herrscher, war im weiteren Zusammenhang nur möglich auf der Grundlage der väterlichen Erfolge, auf der Basis der Länder Böhmen, Mähren und Schlesien mit ihren reichen Steuerleistungen und Silberschätze. Dann gab es ja noch die Gebiete um Luxemburg, die eine Brücke in die französische Bündnispolitik darstellten. Und dann gab es ab 1342 noch den Papst Clemens VI., der Karl in seiner Entwicklung förderte.

    Zwei Jahre zuvor traf Karl, bei einem gemeinsamen Besuch mit dem Vater am päpstlichen Hof einen alten Bekannten und Freund wieder. Es war sein Pariser Mentor Petrus Rogerii, inzwischen aufgestiegen zum Kardinal und einer der einflussreichsten päpstlichen Politiker. Zwischen den beiden gab es ein vertrauliches Gespräch, bei dem sie eine Verabredung trafen. Kardinal Petrus prophezeite: „Du wirst noch König der Römer werden.“ Karl gab zurück: „Du wirst vorher Papst.“ Das war von beiden Seiten keine Vision, sondern politisches Programm. Petrus wurde 1342 zu Papst Clemens VI. gewählt, 1346 wurde auch die Vorhersage über Karl erfüllt. Aber zuvor fehlte noch ein wichtiges Stück für den Aufstieg auf den deutschen Thron, nämlich das Votum der Kurfürsten. Und unter denen war Karls Großonkel Balduin von Trier einer der einflussreichsten, aber keinesfalls ein unvoreingenommener Protektor.



    Balduin, ganz Reichsfürst und Landesherr, war zeit seines Lebens eine Säule der Kaiserpartei gegen päpstliche Ansprüche. Als Bundesgenosse an der Kurie war er wegen seines Einsatzes für die Rechte von Kaiser Ludwig – der mit dem Papst über Kreuz lag – also nicht zu gebrauchen. Das änderte sich ab 1342 nach der Affäre um Margarete Maultasch, der Erbin von Kärnten und Tirol.



    Deren Ehe (mit Karls jüngstem Bruder Johann-Heinrich, im Bild sind sie noch miteinander verheiratet) hatte Kaiser Ludwig für nichtig erklärt, um Margarete mit seinem eigenen Sohn zu vermählen. Natürlich ging es nicht um Margarete selbst, sondern um ihre strategisch wichtigen Ländereien. Die Affäre war nicht nur machtpolitisch schwerwiegend, es war auch kirchenrechtlich ein klarer Verstoß des Kaisers. Für Balduin von Trier war das der Anlass, sich von Ludwig zu distanzieren und auf eine ähnliche politische Linie umzuschwenken wie Karl sie vertrat. Nachdem Kaiser Ludwig so bedenkenlos nach Tirol und Kärnten gegriffen hatte, nütze er 1345 einen neuen Erbfall in Holland-Hennegau ebenfalls für die Hausmacht der Wittelsbacher. Das war so manchem Fürsten in Deutschland zu viel.

    Karl verhandelte - gemeinsam mit seinem Vater - mit Balduin von Trier, und bezahlte gut für dessen Unterstützung. Danach ging es weiter nach Avignon, an den päpstlichen Hof zu Karls Mentor Clemens. Auch hier machte Karl eine Anzahl von Zusagen, sich als König wohlwollend zu verhalten und eine kirchenfreundliche Politik zu betreiben. Interessanterweise musste König Johann die öffentliche Erklärung abgeben, dass das Gerücht vom Giftmord an seinem Vater, dem Kaiser Heinrich VII., durch einen Dominikaner, eine Lüge sei. Karl kehrte allein aus Avignon nach Trier zurück, um mit Balduin eine zweite Verhandlungsrunde zu führen. Johann war da schon nicht mehr dabei, der inzwischen erblindete Böhmenkönig war im Vergleich zu seinem Sohn schon zur Nebenfigur geworden. Mit dem Erzbischof von Trier wurde Karl sich einig: Balduin schickte zwei Tage später, am 24. Mai 1346, an Kaiser Ludwig einen Brief, in dem er ihm in dürren Worten so etwas wie eine ritterliche Absage erteilte. Er forderte ihn auf, die zu Unrecht eingezogenen Lande Tirol und Kärnten zurückzugeben (ein kaum glaubhafter Vorwand, nachdem sich Balduin vier Jahre lang darüber nicht beschwert hatte). Außerdem teilte Balduin dem Kaiser mit, er sei vom Papst ernsthaft ermahnt worden, von ihm als exkommunizierten Ketzer abzustehen, und daran wolle er sich halten. Die Adresse des Schreibens nannte Ludwig konsequenterweise weder Kaiser noch Fürst, sondern nur einen hochgeborenen Herren. Damit hatte sich ein bedeutender Kurfürst von dem Kaiser in München abgewandt.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  3. #318
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    2. Der Gegenkönig

    Bereits vier Tage vorher, am 20. Mai 1346, lud der Mainzer Erzbischof Gerlach die Kurfürsten für den 7. Juli nach Rhens zur Wahl. Eine große Wahlversammlung fand dann eigentlich nicht statt: Fünf Kurfürsten waren anwesend, die drei geistlichen vom Rhein, dazu Herzog Rudolf von Sachsen und natürlich König Johann von Böhmen. Es fehlten die beiden Wittelsbacher Kurfürsten, nämlich der Pfalzgraf bei Rhein und natürlich Ludwig der Brandenburger, der Sohn des Kaisers. Die Wahl war eher ein stilles Ereignis. Außer den Kurfürsten waren keine Reichsfürsten anwesend, nur Ritter aus der näheren Umgebung. Es fehlte dem Vorgang so ziemlich jeder Glanz, er entfaltete nicht mal politische Wucht. Denn Kaiser Ludwig tat nichts, um die Wahl zu verhindern oder sofort den Gewählten anzugreifen, der Wittelsbacher ignorierte den Gegenkönig.



    Immerhin: Karl war mit dreißig Jahren gewählter römischer König, die luxemburgische Dynastie erneut auf dem Weg zur höchsten Würde der Christenheit. Dazu musste Karl aber die Wahl zur politischen Wirklichkeit ummünzen. Davon war freilich noch lange keine Rede. Zunächst sandte Karl umgehend, im Sinne seiner Versprechungen von Avignon, eine Botschaft an den Papst. In diffiziler Formulierung vermied es aber Karl darin, Clemens VI. um Approbation zu bitten: Er schrieb lediglich, der Papst möge den Gewählten für den römischen König halten und ihn so benennen. Wer Karl noch schneller als der Papst als rechtmäßigen König anerkannte, war der französische Thronfolger Jean, der Jugendfreund und Schwager aus Karls Pariser Zeiten. Das erinnert an die zweite Bindung, der die Luxemburger Tribut schuldig waren: an das französische Königshaus, gerade damals bedroht durch eine überraschende Landung Edwards III. von England im französischen Norden.



    Diese Landung war für den englischen König zunächst eine ganz unglückliche Expedition. Fast fühlte er sich in einer Falle zwischen dem für seine Streitkräfte uneinnehmbaren Paris, der unüberschreitbaren Seine und einem wachsenden französischen Aufgebot. Edward zog sich eilends zurück und erreichte schließlich Crecy, in der Nähe der Küste. Das war die Endstation wochenlanger taktischer Operationen, die auf der anderen Seite König Philippe VI. von Frankreich leitete. Eben war auch König Johann von Böhmen zu ihm gestoßen, getreu seiner Lehnspflichten.



    Bei ihm befand sich auch Karl, der erwählte römische König, den zwar kein Lehnseid, aber offenbar die menschliche Bindung und die politische Räson nach Frankreich trieb, hinter sich die ungeklärte deutsche Thronfolgefrage. 500 Ritter hatten die Luxemburger im Gefolge, ein ansehnliches Kontingent.



    Die Schlacht von Crecy wurde zum Desaster für Frankreich und seine Verbündeten. Zwar hatten die Engländer, geführt von dem jungen englischen Thronfolger Edward, weniger schwere Reiterei als die Franzosen, aber eine schlagkräftige Infanterie in Gestalt ihrer Langbogenschützen. Diese fegten die Söldner-Armbrustschützen, die Philippe VI. eingekauft hatte, vom Feld und brachten anschließend jede Attacke der französischen Ritter im Pfeilhagel zum Erliegen. Als sich bereits die Niederlage der Franzosen abzeichnete, strebte König Johann nach vorn.

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  4. #319
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    Trotz seiner Erblindung forderte Johann seine Ritter auf: „Ich bitte Euch in aller Dringlichkeit, führt mich soweit nach vorn, dass ich einen Schwerthieb tun kann.“ Da wurde der Blinde von seinen Gefährten nach vorn geführt. Johann tat einen Schwerthieb oder drei oder vier, es war ihm ernst mit dem heldenhaften Sterben. Niemand sollte sagen können, der König von Böhmen sei vom Schlachtfeld geflohen. Zwar hatte sich Karls Vater bei früheren Kämpfen durchaus auch zurückgezogen, aber vielleicht trieb den stolzen Johann hier eine gewisse Todessehnsucht. Der französische König Philippe VI. jedenfalls, zog es vor, dem Drängen seiner Ritter nachzugeben und das Weite zu suchen. Und Karl? Er, der schon den deutschen Königsadler führte – ohne die päpstliche Approbation seiner Wahl und auch noch ohne Krönung – war ohne großes Aufsehen mit seinen Leuten vom Schlachtfeld gegangen. Dieses Verhalten fand – im Kontrast zum bündnistreuen Heldentod Johanns – nur Geringschätzung.



    Der blinde Johann war gerade einmal fünfzig Jahre alt geworden. Zum dritten Mal, nach der Schlacht von Worringen und dem Ende von Kaiser Heinrichs Romzug, hatte mit ihm das Haupt der Luxemburger den Tod in einer militärischen Niederlage gefunden. Am 27. August 1346, dem Festtag des heiligen Rufus, wollte Karl eigentlich in Deutschland seine Krönung feiern. Die Katastrophe von Crecy ereignete sich einen Tag vorher, am 26. August. An diesem Tag des Rufus war auch Karls Urahn König Ottokar in der Schlacht gefallen, 1278 gegen den Habsburger Rudolf, fast siebzig Jahre zuvor.

    Man vergleicht die Schlacht von Crecy manchmal mit der von Bouvines, wo 130 Jahre zuvor – ebenfalls zwischen Frankreich und England – gleichzeitig über die deutsche Thronfolge entschieden worden war. Der Vergleich passt aber nicht, denn in Bouvines siegten die Franzosen. Dadurch war ihr Parteigänger, der Staufer Friedrich II., seines Rivalen Otto IV. aus dem Haus der Welfen, der auf der englischen Seite stand, entledigt. Bei Crecy sollen dagegen gerade einmal sechs deutsche Ritter auf englischer Seite gefochten haben. Kaiser Ludwig war zwar gerade mit England verbündet, sein Verhältnis zu Edward III. blieb aber kühl. Sprich: Die Deutschen waren nur auf dem Papier Partner, die für ihr Bündnis Geld kassierten, im Ernstfall aber keine Truppen schickten. So konnte Ludwig den Sieg von Crecy auch nicht als seinen Erfolg betrachten, wohl aber als eine Niederlage seines Rivalen Karl.



    Der kehrte von Crecy mit großen, aber schwierigen Aussichten zurück. Das ist die Situation, die zu Beginn dieses Kapitels geschildert ist. Statt einer Entscheidung über die deutsche Krone war ihm wegen des Tods seines Vaters unverhofft zunächst die böhmische zugefallen. Zugleich aber war er der französischen Hilfe beraubt, der einzig sicheren im internationalen Spiel, die ihm allerdings, angesichts seiner eigenen Distanz zum französischen König, nur durch seinen Vater hätte vermittelt werden können. Jetzt musste Karl zusehen, auf eigene Faust und unter Gefahr durch die deutschen Landen zu kommen, um sich in Prag sein Erbe zu sichern, die böhmische Krone. Nüchtern betrachtet musste Karl beide Kronen, die er sein eigen nennen wollte, erst noch erwerben: Von der deutschen Krone trennte ihn die scheinbar unerschütterliche Macht seines Gegenspielers Ludwig, in dessen Lager sich die deutschen Fürsten nach der französischen Niederlage vielleicht wieder versammeln würden. Von der böhmischen Krone trennte Karl ein Weg von 1.500 Kilometern. Von Frankreich zog sich Karl zunächst nach Luxemburg zurück und wartete auf die Hilfe des Papstes.



    Und der half ihm: Karl erhielt die päpstliche Approbation, ohne darum gebeten zu haben. Clemens VI. war so freundlich, sich eine Exegese des Prager Erzbischofs zu eigen zu machen. Der hatte bei einer Predigt im Beisein des Papstes in Avignon nämlich das Motto gewählt: „Auf Dich blicken die Augen ganz Israels, dass Du ihnen kundtust, wer auf Deinem Throne sitzen soll.“ Der biblische Text richtet sich an einen König mit der Frage nach dem Nachfolger.

    1. Könige Kapitel 1, 20: „Und du bist es, mein Herr und König, auf den die Augen ganz Israels gerichtet sind, dass du ihnen kundtust, wer nach meinem Herrn, dem König, auf seinem Thron sitzen soll.“

    Ohne Rücksicht auf diesen Zusammenhang konnte man das Zitat auch als Frage an den Papst nach der Approbation verwenden. Und da fiel allen Zuhörern auf, auch dem Papst, weil er selber ein gelehrter Theologe war, dass der Prager Erzbischof dieses Zitat ohne Besitzpronomen verwendete. Nicht über seinen, sondern nur über den Thron sollte der Papst entscheiden. Deswegen habe am nächsten Tag der Papst in Anwesenheit seiner Prälaten das Thema wieder aufgegriffen und das Zitat ergänzt und dargelegt, dass der Papst in der Nachfolgefrage der römischen Könige und Kaiser zu Recht über seinen Thron entscheide, denn dem apostolischen Stuhl sei dabei ein Eid über Ehrerbietung, Gehorsam und Treue zu leisten. Karl bat über den Papst auf diesem Weg um die Kaiserkrönung, ohne dessen Urteil über die Rechtmäßigkeit der Wahl oder eine Entscheidung über seine Qualifikation zum römischen König zu erfragen. Ein Sieg für Karls überlegene Diplomatie.

    Jetzt konnte Karl sich in Bonn zum deutschen König krönen lassen. Es war eher eine Notkrönung, weder der Ort noch die Umstände entsprachen der Tradition. Verkleidet schlug er sich nach Prag durch und konnte sich am 2. September 1347 auch zum König von Böhmen krönen zu lassen. Diese Lande waren, inklusive Mähren, freilich die einzigen, über die er verfügen konnte. Noch immer war er ein Gegenkönig von Papstes Gnaden, ein Pfaffenkönig, wie ihn seine Gegner schimpften. Vergeblich versuchte Karl, einen schwachen Punkt in der gegnerischen Front zu finden.



    Herzog Albrecht der Lahme, das Haupt der Habsburger, war standfest genug, weder Ludwig noch Karl feste Zusagen zu machen. Allein den Durchzug nach Tirol gestattete er, und dort inszenierte Karl im Einverständnis mit dem unzufriedenen Landadel einen (erfolglosen) Aufstand gegen die wittelsbachische Herrschaft. Ludwig der Baier war für Karl nicht zu besiegen, er musste wohl einfach abwarten, bis sich was tun würde. Und es geschah bald etwas: Am 11. Oktober 1347 erlitt der 65jährige Kaiser einen tödlichen Herzanfall, den Karls Propaganda natürlich als Gottesurteil verklärte.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  5. #320
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    Wie immer ein schöner Beitrag.

  6. #321
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    Nicht mehr allzu lange, dann ist CK2 schon durcherzählt...

    Die Bahn war frei für den verbliebenen König Karl, beinahe zumindest. Karl musste verhindern, dass Ludwig der Brandenburger, Sohn des verstorbenen Konkurrenten, als neues Haupt der Wittelsbacher nnach der Krone greift. Oder dass der Habsburger Albrecht II. von Österreich ähnliches tun würde. Karl griff dazu tief in seine Schatztruhen: Er kaufte sich die Loyalität des Pommern-Herzogs Barnim und erhob die Fürsten von Mecklenburg zu reichsunmittelbaren Herzogen. Damit gewann Karl im Norden des wittelsbachischen Brandenburg zwei wichtige Parteigänger. Dem Habsburger Albrecht II. gab Karl Pfandgüter im Umfang von 20.000 Gulden sowie die Verlobung seiner sechsjährigen Tochter Katharina mit Albrecht ältestem Sohn.



    Der Brandenburger Ludwig musste sich seinerseits neue Freunde suchen und näherte sich dem Wettiner Landgrafen Friedrich von Thüringen an. Nachdem es der englische König Edward III. ausgeschlagen hatte, sich zum neuen Gegenkönig wählen zu lassen, sollte diese Rolle nun Friedrich zufallen. Ludwig selber mochte sich offenbar nicht zur Wahl stellen, weil er einer der Kurfürsten war und er auf seine eigene Stimme angewiesen gewesen wäre. Die Wahl durch die eigene Stimme galt zu dieser Zeit jedoch noch als Schmälerung der Legitimität einer Wahl. Also ließ Ludwig sich selbst aus dem Spiel und schmiedete zwischen Brandenburg und Thüringen einen Machtblock an der Grenze zu Böhmen, der für Karl gefährlich wurde.



    Karl IV. nutzte einen merkwürdigen Vorfall, um seinen Gegenspieler Ludwig unter Druck zu setzen: Es trat nämlich ein rätselhafter Mann auf in Brandenburg, der behauptete, der alte Markgraf Waldemar zu sein. Der war 28 Jahre zuvor zu Grabe getragen worden und mit ihm war das Geschlecht der Askanier ausgestorben. Das hatten die Wittelsbacher damals genutzt und das Lehen Brandenburg für sich einkassiert. Mit einem Schlag gewann nun dieser geheimnisvolle Waldemar Anhänger mitten in der wittelsbachischen Zitadelle Ostdeutschlands, denn er vertrat das angestammte Fürstenhaus gegen die landfremden Baiern, er versprach Gerechtigkeit, wo man dem jungen Ludwig manche Willkür nachsagte, rücksichtslose Affären mit den Damen des Landes, illegitime Kinder und Steuerbedrückung. Mit Waldemar war es eine ähnliche Geschichte wie mit dem falschen Friedrich gut fünfzig Jahre vorher. Er gewann die öffentliche Meinung – und besaß die Unterstützung Karls, der mit Waldemar ein Werkzeug hatte, den Brandenburger Ludwig und die Wittelsbacher unter Druck zu setzen. Das zeigte Wirkung: Ludwig verzichtete auf eine Thronkandidatur, der dafür im Gegenzug Waldemar fallen ließ.



    Die Opposition musste sich einen neuen Thronprätendenten suchen und stellte den thüringischen Grafen Günther von Schwarzburg als Gegenkönig auf. Freilich war ihre Lage viel schlechter geworden. Brandenburg war aus der Fraktion ausgestiegen, die ostelbischen Lande zu Karl übergetreten, und im Westen war die Position des Luxemburgers sowieso kaum anzufechten. Dort sicherten Erzbischof Balduin und das Ehebündnis mit den Habsburgern Karls Macht.

    Als im Sommer 1348 Karls erste Frau Blanca von Valois starb, warb der König um die 20jährige Tochter des Pfalzgrafen Rudolf, und es gelang ihm, nicht nur die wittelsbachische Dynastie zu spalten, sondern auch ihren pfälzischen Zweig auseinanderzubringen. Ein Blitzbesuch in Seeland musste zunächst noch englische Gesandte beruhigen, bei denen Karl ursprünglich um die Tochter Edwards III. werben wollte (die Kurie hatte Karl IV. diese Heirat untersagt). Dann aber, und es war ein gelungener Coup, feierte er schon am 4. März 1349 Hochzeit mit Anna von der Pfalz. Diese Ehe war es letztlich, die Günther von Schwarzburg entwaffnete. Denn der Pfalzgraf Rudolf, selber ohne Söhne, versprach für seinen erbenlosen Tod eine Eventualhuldigung aller seiner Amtsleute, ja er räumte Karl selbst bei der Neubesetzung von Ämtern ein Veto ein, so dass die pfälzische Personalpolitik fortan vom Prager Hof mitbestimmt werden sollte. Die Mitgift, die Anna von der Pfalz in die Ehe einbrachte, waren Ländereien in der oberen Pfalz – Karl sollte sie später den Grundstock seines „Baiern jenseits des Böhmerwalds“ nennen.

    Zwar zogen noch die Heere von König und Gegenkönig auf, so dass man für eine Zeit einen Bürgerkrieg am Rhein befürchtete. Aber der kleine Graf von Schwarzburg war nun einmal nicht der „kleine Graf von Habsburg“, der Karls Urgroßvater vom böhmischen Thron gestoßen hatte. Von vornherein hielt er sich den Rückzug offen, und als Karl ihm schließlich 20. 000 Gulden bot, nutzte er, selbst bereits erkrankt, die Situation zu einem bescheidenen, aber sicheren Gewinn. Zwei Monate später war er tot, Günther von Schwarzburg blieb nur eine Episode. Viele Leute konnten sich den Ausgang dieses stillen Ringens nur durch ein Giftattentat erklären. Und was mag durch Karls Kopf gegangen sein, als nun auch der zweite Widersacher seines Königtums zu Grabe getragen wurde? Für ihn war es ein Wunder göttlicher Milde. Nun hatte Karl IV. keine offenen politischen Gegner mehr in Deutschland. Die Parteigänger und Wähler Günthers von Schwarzburg, voran Ludwig der Brandenburger, das Haupt der Wittelsbacher, hatten sich schon rechtzeitig mit Karl arrangiert. Und Karl zeigte sich großmütig und damit als weitsichtiger Sieger, die Wunden von 20 Jahren Thronstreit in Deutschland mussten geheilt werden. Er stellte den Wittelsbachern die Neubelehnung mit der Mark Brandenburg in Aussicht (die er dann erst im Frühjahr 1350 vollzog).

    Karl suchte auf manche Weise Popularität. Er tanzte mit den Baslerinnen und ritt auch ins Turnier, sehr gegen seine Neigungen und dies zumindest auch mit vollem Misserfolg. Seine neuen deutschen Untertanen ließen sich freilich nicht über die Dürftigkeit seiner finanziellen Mittel täuschen. Von Böhmen offenbar sehr zögernd unterstützt, befand sich Karl IV. in ziemlicher Geldnot. Deshalb hatte ihm auch schon 1348 ein misstrauischer Wormser Metzger wegen unbezahlter Rechnungen den Abzug aus der Stadt verwehren wollen und ohne weiteres Unterstützung bei der Volksmenge gefunden. Auch das war eine Folge der Wahlpolitik, die Geld nicht schonte: Karl IV. hatte seine Feinde gekauft.

    Einige Monate darauf tauchte wie aus dem Nichts ein ganz anderes Problem auf als unbezahlter Fleischerrechnungen. Eine Seuche verheerte das Reich und brachte beinahe die Zivilisation zum Einstürzen.

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    3. Der Schwarze Tod

    Die Pest - sie war die größte Katastrophe des Mittelalters, eine Pandemie, wie es sie in Europa nie zuvor gegeben hatte. Binnen weniger Jahre starben im Abendland ab 1347 mehr als 25 Millionen Menschen an der Pest, jeder Dritte erlag der Seuche. Tausende Dörfer verschwanden für immer von den Landkarten. Der Schwarze Tod erschütterte die Gewissheiten der ganzen Epoche und prägte den Kontinent bis weit über das Ende der Plage hinaus. Die Symptome der Erkrankten begannen mit Gliederschmerzen, Frösteln und Fieber, dann schwollen die Lymphknoten an, sie füllten sich mit Blut und Eiter. Schwärzende Beulen entstellten die Leidenden, bald darauf vernebelten Halluzinationen und Schwindel ihren Verstand – bis nach wenigen Tagen die geschwächten Körper kollabierten und alle Organe versagten.



    Der Ursprung der Pest lag vermutlich um 1340 in China oder Kirgisien, das ist bis heute nicht klar. Sicher ist nur, dass die Seuche 1346 im Mongolenreich wütete. Krieger und Kaufleute trugen sie weiter, sie brach auch in dem mongolischen Heer aus, das 1346 die Hafenstadt Kaffa auf der Krim belagerte. Die Stadt gehörte zum Reich der Mongolen, wurde aber aufgrund eines Abkommens von italienischen Kaufleuten verwaltet. Als die sich zu viel herausnahmen, befahl der Khan den Angriff. Diejenigen unter den Belagerten, denen die Flucht aus Kaffa gelang, segelten auf Schiffen nach Italien zurück – und brachten die Krankheit mit sich.



    Dort überfiel die Seuche eine geschwächte Bevölkerung. Im Januar 1348 bebte die Erde in Norditalien, zerstörte Häuser und tötete Menschen. Viele hielten dies später für ein göttliches Omen, einen Vorboten der Pest. Die Krankheit traf auf eine verwundbare Zivilisation: Europa war durch wirtschaftliche Krisen und Hungersnöte ermattet. Besonders in Venedig wütete der Schwarze Tod. Mailand dagegen blieb verschont, weil die Stadt konsequent ihre Tore schloss und die Außenwelt aussperrte.



    Die Pest breitete sich im Februar 1348 weiter aus, erreichte Süddeutschland und Frankreich. In Avignon, damals Sitz des Papsttums, folgte Karls einstiger Mentor Clemens VI. den Ratschlägen seiner Mediziner. Um sich die Krankheit fernzuhalten, ließen sie Clemens zur Ader, hielten ihn an, Gewürznelken zu kauen, und – da der Papst nicht auf das Land fliehen wollte – seine Residenz gegen die Außenwelt abzuriegeln. Dort hielt sich der Papst ständig zwischen zwei Becken voller glühender Kohlen auf, die Fenster dabei geschlossen, inmitten beißend rauchiger Luft. Der Rauch sollte die faulen Gerüche fernhalten, die die Seuche trügen. Unbewusst war es eine richtige Maßnahme, denn sie hielt die Ratten samt ihrer Flöhe, die die Krankheit übertrugen, vom Papst fern.



    Clemens VI. war für seine Dekadenz berüchtigt, das Haupt einer durch und durch korrupten Kirche. Aber er stemmte sich gegen die kursierenden Gerüchte, die Juden seien schuld an dem Unglück. An vielen Orten kam es zu Pogromen, bei denen die angeblichen Brunnenvergifter massenhaft gelyncht wurden.

    Der französische König Philippe VI. gab bei der renommierten Universität von Paris ein Gutachten in Auftrag, um die Ursache der Pest rasch klären und Therapien entwickeln zu lassen. Nicht nur, dass die Seuche in seinem Reich wütete, sie hatte sich sogar in seinen Palast eingeschlichen.

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  8. #323
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    Am 12. September 1348 erlag seine Gattin Jeanne dem Schwarzen Tod. Nur wenige Wochen später lag die Studie vor. Sie fand große Verbreitung, doch sie half niemandem. Denn die Ärzte mussten etwas erklären, für das es bis in die Antike zurück kein Beispiel gab. Außerdem suchten sie die Antworten nicht in der Beschau der Kranken und ihrer Lebensumstände, sondern in der Bibel. Die Antwort der Gelehrten war schließlich: Die Gestirne sind schuld! Es galt den Astrologen als unheilvoll, wenn sich am Himmel das seltene optische Beisammenstehen von Mars, Saturn und Jupiter ereignete.



    „Im Jahre des Herrn 1345 war nämlich eine maximale Konjunktion der drei oberen Planeten, das heißt am zwanzigsten Tag des Monats März, im Wassermann, zur Stunde nach Mittag. Denn Jupiter, ein warmer und feuchter Planet, hat von der Erde und dem Wasser üble Dämpfe aufsteigen lassen. Mars aber, weil er unmäßig warm und trocken ist, hat die aufgestiegenen Dämpfe angezündet. Deshalb gab es vielfach Blitze durch die Luft, Funkenregen, pestbringende Dämpfe und Feuerstürme. Diese so korrupte Luft, durch die Atmung angezogen, dringt notwendigerweise zum Herzen vor und korrumpirt die Substanz des Spiritus, der in ihm ist, und sie lässt faulen, was das Herz an Feuchtigkeit umgibt. Daraus entsteht Wärme, hervorgegangen aus der Natur, und korrumpiert die Lebensgrundlage. Und dies ist die unmittelbare Ursache der jetzt herrschenden Epidemie.“

    Na ja. Der Wahrheit ein wenig näher kamen die Gelehrten mit dieser Einschätzung: „Der vergangene Winter war nämlich weniger kalt, als er sollte, und regenreicher, der Frühling windiger und am Ende regenreicher, auch der Sommer bei Weitem weniger warm, als er sollte, und feuchter.“ Tatsächlich fällt der Floh, der die Pest überträgt, an kalten Tagen in eine Starre, er springt nicht zum Menschen, und kann den Erreger nicht übertragen. Die Seuche schien in diesen Phasen stillzustehen. An warmen und feuchten Tagen hingegen schritt die Ansteckung fort. Den besonders augenscheinlichen Aspekt, dass Pestkanke für ihre Mitmenschen in hohem Maße ansteckend waren, erwähnten die Mediziner jedoch nicht einmal. Ihr Buchwissen, dass die Luft, die alle Menschen atmen, von Miasmen vergiftet sei, machte es letztlich gleichgültig, wo man sich aufhielt und wie nahe man den Erkrankten kam. Auch die schmerzhaften Pestbeulen kamen in ihrer Analyse nicht vor. Kein Wort davon, dass sie aufbrachen, kein Wort von der stinkenden Nässe, die ihnen entströmte. Und die empfohlenen Therapien? Kein Sex, es sei denn, man war ihn gewohnt. Nur in Ausnahmen warme Bäder, lieber Fisch aus kalten Gewässern sowie saures Obst essen. Dazu Aderlass, Lüften durch das Nordfenster des Hauses und zehn Jahre altes Vipernfleisch.

    Wie Philippe VI. reagiert hat, als ihm das Kompendium überreicht wurde, ist nicht überliefert.



    Auch in Deutschland wütete die Pest. Die Stadt Prag, in der Karl IV. residierte, hatte Glück, hier brach die Seuche nicht aus. Doch in den anderen Teilen des Reichs, besonders am Rhein, war die Not so groß, dass unbedingt ein Sündenbock benannt werden musste. Die Juden würden die Brunnen und die Heringe, die gerade während der Fastenzeit verzehrt wurden, vergiften. Die Juden waren in den Städten immer die Fremden geblieben: Andere Religion, andere Bräuche, eigene Wohnviertel. Die Christen sahen zugleich auf sie herab und fürchteten sie, angeblich verfügten die Juden über geheime magische Kräfte (die sie zum Beispiel beim Würfelspiel einzusetzen wussten). Weil sie in den üblichen Handwerksberufen nicht tätig werden durften, arbeiteten die Juden oft als Kaufleute und Geldverleiher.Oder hast Du Dir in CK2 nicht auch gelegentlich schon mal 300 Gold von ihnen geliehen? Es gab also eine ganze Anzahl von Leuten, die jüdischen Geldverleihern etwas schuldeten – und somit auch ein finanzielles Interesse daran hatten, wenn diese Leute verschwinden würden.



    Der nominelle Schutzherr der Juden war seit Zeiten Friedrichs II. der König. Dafür hatten sie ihm eine besondere Schutzsteuer zu zahlen. Der König war nun Karl IV., aber er war zu schwach, um die Juden im ganzen Reich zu schützen. Mehr noch: Er verdiente an den Morden, die an ihnen verübt wurden. Denn diejenigen, die das Lynchen planten oder bereits verübt hatten, fragten bei Karl IV. nach, was sie denn der Übergriff auf die königlichen Schutzbefohlenen kosten würde. Und Karl ließ es sich bezahlen, beteiligte sich sogar an der Verteilung jüdischen Vermögens zu eigenem Vorteil. Gewiss günstig für seinen Rückhalt bei den Städten, doch eine beträchtliche Vernachlässigung herrscherlicher Pflichten und der Rechtswahrung. Standhafter war da der österreichische Herzog Albrecht II., der sich mit all seiner Machtfülle erfolgreich vor die Juden stellte und unzähligen Vertriebenen Zuflucht in Wien gewährte. Aber gerade in Deutschland herrschte zumeist der Mob, manchmal spontan, manchmal von gewissen Leuten gegen die Juden gelenkt. Ihr vorgebliches Ziel, ihre jeweilige Stadt vor dem Schwarzen Tod zu bewahren, erreichten die Mörder indes nicht. Die Seuche wütete auch bei ihnen, und auch die noch lebenden Juden starben genauso daran.



    Erst im Jahr 1353 ebbte die Pest wieder ab in Europa. Wie sollte man damit fertig werden, dass mehr als 20 Millionen Menschen tot waren? Im kleinen waren es Hygienevorschriften in den Städten: Straßen, Kanäle und Flüsse waren nun sauber zu halten von Müll und Unrat. Die traumatisierten Menschen gaben sich ungezügelter Lebensfreude hin, ein bunter, körperbetonter Kleidungsstil kam auf. Im Großen waren die Probleme gewaltiger: Allerorten fehlten Arbeitskräfte zum Bestellen der Felder der kirchlichen und weltlichen Grundherren. Die Überlebenden erkannten den Wert ihrer Arbeit und forderten höhere Löhne und bessere Bedingungen. Das und weiteres waren erhebliche soziale und gesellschaftliche Auswirkungen, die sich direkt an die Jahre nach der Pest anschlossen. Die Oberen reagierten mit neuen Gesetzen, schrieben Löhne und Preise fest, verhängten Arbeitszwang und Abwanderungsverbote. Aber die Nachfrage nach Arbeitskräften stärkte das Selbstbewusstsein gerade der Stadtbürger ungemein. Ihr Stand sollte in den kommenden Jahren mehr Mitspracherechte von dem durch die Seuche geschwächten Adel einfordern. Aber das ist schon ein Ausblick in die Zukunft, wir sind noch im Jahre 1350.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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    4. Die Goldene Bulle

    Am 17. Januar 1350 wurde Karl IV. endlich der ersehnte Nachfolger geboren, als drittes Kind aus der Ehe mit seiner zweiten Frau Anna aus der pfälzischen Linie der Wittelsbacher. Er wurde auf den böhmischen Traditionsnamen Wenzel getauft, wie einst der Vater, und geriet bald in politische Spekulationen.



    Denn ganz so einfach stellte sich die böhmische Erbfolge doch nicht dar als Primogenitur, weil Karl IV. während seiner Söhnelosigkeit seinen jüngeren Bruder Johann Heinrich zum Nachfolger bestimmt hatte, den glücklosen einstigen Gemahl der Margarete Maultasch von Tirol, nun Markgraf von Mähren. Jetzt galt es, die Änderung dieser Erbfolge zugunsten seines eigenen Sohnes zu demonstrieren. Es ist bezeichnend für Karls rechtspolitisches Denken, dass er dazu eine eigens schriftlich festgehaltene Huldigungsakte für nötig ansah.

    Eigentlich war es nicht üblich, einem Säugling zu Lebzeiten des Vaters schon zu huldigen. So konnte Karl IV. auch kaum die entscheidenden Träger einer solchen Huldigung für das Unternehmen gewinnen, nämlich den böhmischen Adel, und so musste er sich mit den Huldigungsakten von Seiten derer begnügen, die sich ohne Bedenken seinem Wink zu fügen hatten.: mit den Städten in Böhmen. Also huldigten in der zweiten Jahreshälfte 1350 nicht weniger als zwölf Städte dem erst wenige Monate alten Prinzen Wenzel als künftigen König, und Karl IV. sorgte für die nötigen Urkundentexte, in denen auf die Erbfolge zugunsten der Erstgeborenen in der männlichen Linie hingewiesen wurde. Durch diese urkundliche Demonstration der Primogenitur wollte Karl ausschließen, dass bei seinem jähen Tode an der Stelle seines minderjährigen Sohnes etwa sein Bruder die Nachfolge angetreten hätte, ein Wechsel in den dynastischen Linien, wie er immer wieder, selbst unter dem Recht der Erstgeborenen, und namentlich in der böhmischen Geschichte zu finden war.

    Ein Vierteljahr später, im März 1351, musste deshalb der jüngere, stets willige Bruder noch einmal die Lehensnahme der Markgrafschaft Mähren wiederholen, mit demselben Text wie kaum ein Jahr zuvor, nämlich auf der ausdrücklichen Versicherung der Lehensabhängigkeit seiner Markgrafschaft von Böhmen für alle Zeiten. Die konsequente Absicherung und Eile hatte seinen Grund: Seit dem Oktober 1350 war Karl IV. nämlich von einer rätselhaften und hartnäckigen Krankheit befallen. Es blieb unsicher, was eigentlich den 34jährigen König für viele Monate ans Krankenbett fesselte. Karl war von einer Paralyse befallen, so dass sich ihm Hände und Füße zusammenkrümmten. Wenn es ein Gichtanfall war, hätten die Zeitgenossen diesen auch beim Namen genannt, die Gicht war eine ihnen wohlbekannte Krankheit. Die Pest konnte es auch nicht gewesen sein, denn der König litt weder an den berüchtigten Beulen, noch sprach die lange Krankheitsdauer für diese Diagnose. So brachte man die Rede auf Gift und erklärte sich so die Vehemenz, mit der Karl seinen Bruder – den man als Drahtzieher dieser Sache verdächtigte - zur wiederholten Huldigung aufforderte. Aus heutiger Sicht könnte es sich bei der Krankheit um ein bakterielles Nervenleiden gehandelt haben, die den König ein Jahr lang in seiner Handlungsfähigkeit einschränkte.



    Karl IV. erholte sich, doch der Tod schlug in seiner Familie zu. Um diese Zeit erlag seine Schwester Guta, die Herzogin der Normandie, der Pest. Sie starb wenige Monate, bevor ihr Gemahl König von Frankreich wurde. Zur selben Zeit, vielleicht ebenfalls als Pestopfer, starb Karls Tochter Margareta, Königin von Ungarn. Und überdies griff der Tod nach dem kleinen Kronprinzen Wenzel, noch keine zwei Jahre alt. Damit war aufs Neue die Nachfolgefrage offen.

    Im Sommer 1350 war Karl IV. ein unerwarteter Todesfall zu Hilfe gekommen. Der Patriarch von Aquileia war einer Rebellion zum Opfer gefallen. Karl übernahm den Schutz seiner Lande, die er schon als Kronprinz gegen die Grafen von Görz, gegen die Habsburger und gegen Venedig verteidigt hatte, und tatsächlich erreichte er bald danach, dass sein Halbbruder Nikolaus, bislang Bischof von Naumburg, vom Papst als Nachfolger im Patriarchat von Aquileia investiert wurde. Damit war das Friaul in der Hand der Luxemburger, ein nicht unbedeutender Stein auf dem italienischen Schachbrett.



    Schon ein Jahrhundert lang waren die Kraftfelder italienischer Politik ungleich verteilt. Seit der Stauferstaat in Sizilien und Unteritalien zerbrochen, seit danach auch die Herrschaft der französischen Anjou geschwächt war, gegen deren Macht noch Karls Großvater vergeblich anzukämpfen versucht hatte, seit gar in Neapel die Königinwitwe Johanna regierte, angeklagt des Gattenmords und von ihrem Schwager, dem ungarischen König Ludwig, bekämpft wie vom Papst geschützt, und seit zu all dem der päpstliche Kirchenstaat in Mittelitalien in jahrzehntelanger Anarchie eher von außen regiert und von Söldnerbanden terrorisiert wurde, war das politische Kraftfeld Italiens weitgehend auf den Norden reduziert. Das galt für den Bereich der alten wirtschaftsstarken und bevölkerungsmächtigen Stadtstaaten zwischen Mailand und Florenz, Genua und Venedig. Als die markanteste politische Persönlichkeit in diesem Raum trat Giovanni Visconti hervor, der Mailänder Erzbischof, zunächst Parteigänger Kaiser Ludwigs und seines Gegenpapstes, dann mit Avignon versöhnt, seit 1349 auch politisch der Herr seiner Residenzstadt, schließlich gar im Besitz Genuas und, zum Unwillen Avignons, des päpstlichen Bologna. Dieser geistige Herr begründete eigentlich die Herrschaft der Visconti für die nächsten hundert Jahre. Florenz und später Venedig suchten vor seinem Ausgreifen Kontakte bei Karl IV. Und Karl fasste gern nach dieser Gelegenheit, sandte seinen Kanzler Heinrich von Zderaz nach Florenz, belehnte und bevollmächtigte Raimond de Lupi, den Markgrafen von Soragna, zu weiteren Verhandlungen und schloss schließlich Verteidigungsbündnisse gegen den Mailänder Erzbischof mit Venedig, den Fürsten von Padua, Verona, Mantua und Ferrara, mit Florenz und anderen lombardischen Städten.

    Dieser Bund verpflichtete ihn zur Teilnahme an einer bewaffneten Auseinandersetzung. Und doch verging die Zeit, ohne dass Karl diesen Verpflichtungen nachkam. Er ließ sich mahnen. Er wartete auf die beste Gelegenheit zum Eingriff in Italien und sah gleichzeitig auch seine Position nördlich der Alpen noch nicht recht gefestigt. Wichtig war da schließlich wieder nur, dass ein neuer Todesfall dieser Politik den rechten Spielraum bot. Im Dezember 1352 war der Papst gestorben, Clemens VI., einst sein Mentor und politischer Partner, in den letzten drei Jahren beinahe sein Widersacher. Der neue Papst, Innozenz VI., schon nach zwei Tagen gewählt, der erste Papst, der die Rechte der Kardinäle in einer eigenen Wahlkapitulation garantierte, war weit weniger ein Diplomat als Clemens VI. Der größte Erfolg seines zehnjährigen Pontifikats war die Wiederherstellung der päpstlichen Herrschaft im Kirchenstaat durch seinen Legaten. Eine legale Kaiserkrönung in Rom, nach mehr als 40jähriger Unterbrechung, schien ihm in diesem Zusammenhang womöglich als eine Rückkehr zur Stabilität, zumal unter den Bedingungen, die Karl dafür beschworen hatte und jederzeit aufs neue zu garantieren bereit war.

    Immerhin brauchte Karl für den Romzug noch einige andere Rückendeckungen. Dies sollte ein großer Fürstenkongress in Wien ihm liefern, wie er dergleichen in der Folge noch mehrfach inszenierte, Gipfeltreffen als Kennzeichen einer beweglicheren Diplomatie, besonders interessant im Zusammenhang mit dem Aufstieg der Mächte in Ostmitteleuropa. Diesmal traf man sich am 10. März 1353 in Wien. Ludwig der Brandenburger war zugegen, die Erzbischöfe von Köln, Trier, Mainz und Prag, Gesandte des polnischen Königs und des Dogen von Venedig. Die wichtigsten Gesprächspartner für Karl waren aber König Ludwig von Ungarn und Herzog Albrecht von Österreich. Ihnen gegenüber gerieten die Verhandlungen auch zu festen Formen, zu zeitgemäßen, zu Verlöbnissen. Karls elfjährige Tochter Katharina wurde dem künftigen österreichischen Herzog Rudolf IV. („dem Stifter“) verlobt, später einer der originellsten Köpfe im deutschen Fürstenkreis, in mancher Hinsicht ein getreuer, wenn auch rivalisierender Schüler seines künftigen Schwiegervaters.



    Das besondere Verhältnis zwischen Habsburg und Luxemburg wurzelt aus dieser Verlobung, ein Erb- und Nachfolgeverhältnis, 1364 in einem dezidierten wechselseitigen Erbvertrag gefasst, 1438 durch die Ehe der letzten Luxemburgerin mit einem Habsburger neuerlich beschworen, aber durch die Ungunst des Schicksals erst wiederum fast hundert Jahre später wirklich geschichtsmächtig geworden. Fortan, wenn wir diesen zeitraffenden Prospekt einmal betrachten, plante, sparte, sammelte und organisierte Karl die luxemburgische Herrschaft eigentlich als die Grundlage eines halbtausendjährigen Reiches, eines mitteleuropäischen Imperiums unter der Führung der Habsburger. Vieles von der Architektur dieses Habsburgerreiches und seiner politischen Idee hatte er ersonnen: Karl, auf dessen Regierungswerk schon geradewegs der bekannte Spruch zu münzen war, den im 15. Jahrhundert ein ungarischer König den Habsburgern zudachte: Bella garant alii, tu felix Austria nube!

    Einstweilen aber war es noch Karl selber, der heiratete. Am 2. Februar 1353 war Königin Anna gestorben, Karls zweite Ehefrau, so dass ihm der Tod gerade nur noch, von zwei Ehen und drei Kindern, eine einzige Tochter hinterlassen hatte, eben jene Katharina, die soeben mit Rudolf von Habsburg verlobt worden war. Nun bereitete auch Karl, knapp einen Monat Witwer, eine neue Ehe vor, die ihn eigentlich mit der jüngeren Generation verband. 1350 hatte er nämlich die damals elfjährige Herzogstochter Anna von Schweidnitz seinem eigenen Sohn Wenzel verlobt, der zu dieser Zeit elf Monate zählte. Aber nun war ja Wenzel 1351 gestorben, und so trat Karl selber in diese Bindung ein. Schon im Juni 1353 heiratete er die 14jährige Schlesierin.



    Der politische Ertrag dieser Ehe lag einmal in dem Erbanspruch auf das Herzogtum Schweidnitz, dem bis dahin letzten weißen Fleck im luxemburgischen Herrschaftsraum zwischen Böhmen und Polen. Zum anderen brachte diese Verbindung Karl in enge Beziehung zum ungarischen Hof, wo die Prinzessin als Vollwaise erzogen worden war. So wurde auch die Vermählung als Doppelhochzeit in der ungarischen Residenz gefeiert. Der König selbst, Ludwig von Anjou, heiratete die Prinzessin Elisabeth von Bosnien, die, auch das ein Zeichen politischer Bindungen, gemeinsam mit Anna am ungarischen Hof erzogen worden war.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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    Drei Familien: Luxemburg

    So war offenbar in Karls Augen der Romzug auch durch seine Ungarnpolitik gesichert, als er ein Jahr danach über den luxemburgischen Hausbesitz wichtige Dispositionen traf. Er übertrug im März 1354 seinem Halbbruder Wenzel, dem einzigen Kind aus der zweiten Ehe König Johanns, das Herzogtum Luxemburg. Wenzel war damals 17 Jahre alt, seit zwei Jahren verheiratet mit Johanna von Brabant, der Erbin des Nachbarlandes, und auf diesem Weg wurde nun auch eine alte Rivalität getilgt, die Scharte von Worringen ausgewetzt, ein beachtlicher Herrschaftskomplex im Westen unter einem luxemburgischen Fürsten vereinigt. Das war auch staatspolitisch von Belang. Denn gleichzeitig erhob Karl die Lande Wenzels, nämlich die Grafschaft Luxemburg, die Markgrafschaft Arlon, die Grafschaft Laroche und die Grafschaft Durbuy zum Herzogtum und schuf so aus diesem Länderkomplex eine staatspolitische Einheit. Vergleichbare Akte haben immer wieder bedeutende Territorialherrschaften konstituiert. Im Sommer schließlich zog Karl tatsächlich mit einem Reichsaufgebot gegen die Züricher, gemeinsam mit Herzog Albrecht von Österreich, aber seine militärische Anstrengung war offenbar nicht so ganz ernst gemeint. Die Züricher erklärten sich grundsätzlich dem König gegenüber dienstbereit, mit Ausnahme ihrer unerledigten Streitsache mit den Habsburgern, und so wandte sich Karl am 13. September 1354, nach wenigen Belagerungstagen nur, in einem jener unvorhergesehenen Entschlüsse, die er offenbar dennoch sorgfältig erwogen hatte, von der Stadt ab, und zog über Ulm und Nürnberg nach Sulzbach. Von da ritt er mit nur einer kleinen Schar von 300 Helmen nach Süden. Am 5. Oktober war er in Salzburg, am 13. in Gemona. Da war neun Tage zuvor, etwa gleichzeitig mit seinem Zug durchs Gebirge, der Mann gestorben, mit dem er eigentlich um seine kaiserlichen Ansprüche in Oberitalien hätte kämpfen müssen; dessentwegen ihn auch seine italienischen Bundesgenossen überhaupt ins Spiel gezogen hatten: Giovanni Visconti, der streitbare Erzbischof von Mailand.

    Die Erben der Visconti-Dynastie verhandelten doch lieber, als dass sie eine Kraftprobe mit der Liga wagten. Und dieses Beispiel machte in Italien Schule. Kaiserzüge hatte man seit Barbarossas Zeiten in den vielfältigen Machtgebilden Oberitaliens traditionell entweder bejubelt oder verflucht. Karl IV. mit seiner kleinen Schar war offenbar nicht gekommen, um die Geister auf diese Art zu scheiden, nach den alten Parteiungen der Guelfen und Ghibellinen, sondern um zu verhandeln. Nachdem er erst einmal geschickt bei den Visconti an Boden gewonnen hatte, bestätigte er sie als Reichsvikare, um dafür die Krönung zum König der Lombardei in der Kirche des heiligen Ambrosius zu Mailand entgegenzunehmen. Sowohl seine Krönung am Dreikönigstag 1355 als auch sein Umgang mit den Visconti zeigte gleich Früchte im diplomatishcen Bereich. Die Krönung meldete er dem Kardinalbischof von Ostia nach Avignon als die zweite Station, zur dreifachen Krönung eines Imperators aufzusteigen, also gleichsam als eine pflichtmäßige und jetzt absolvierte Bedingung zur römischen Kaiserkrönung. Dabei konnte er sich zwar auf die Geschichte vieler deutscher Romzüge stützen, aber dennoch hatte er ein solches Gewohnheitsrecht überzogen. Nicht jeder deutsche Herrscher hatte vor der römischen Kaiserkrönung die „eiserne Krönung“ in Mailand erworben, von der „dreifachen Krone“ des Heiligen Römischen Reiches war schon mal gar nicht die Rede gewesen. Zudem gab es, wenn man zählen wollte, eine vierte Krone, nämlich die von Burgund.

    Karl zog zunächst in Pisa, anschließend in Florenz, ein. Die großbürgerlichen Stadtherren erfuhren, dass Karl bereit war, ihre alte Ordnung zu bestätigen, sie nicht anzutasten, und zu Reichsvikaren zu ernennen. Gegen ein Entgelt, versteht sich. Mailand zahlte 150.000 Gulden, Pisa immerhin 60.000, und Florenz ließ es sich 100.000 Gulden kosten. Die Florentiner waren zudem willig, als Ersatz für die jahrzehntelang ausgefallenen Reichssteuern künftig 4.000 Gulden jährlich zu entrichten. Das war weit mehr, als jede deutsche Reichsstadt aufbrachte. Karl IV. verstand es geschickt, den Argwohn der Guelfen zu zerstreuen.

    Von Lucca ging sein Zug weiter über Siena, Buonconvento, wo der Großvater Heinrich VII. mitten im Kampf um seine Kaiserrechte gestorben war, weiter nach Sutri. Am 2. April stand Karl IV. vor Rom, das er drei Tage lang inkognito besuchte, ehe er am 5. April mit etwa zehntausend Begleitern in die Ewige Stadt einritt. Die Kaiserkrönung verlief nach Protokoll, Karl wurde durch einen zur Vertretung befugten Kardinal (der Papst war ja in Avignon) gekrönt und gesalbt, ebenso die Königin. Dann ritt das Paar durch die jubelnde Stadt, nicht selbstverständlich in der Reihe römischer Krönungstage, wo man zuletzt noch den Großvater Heinrich beim Krönungsmahl mit Pfeilen beschossen hatte. Von Feindseligkeiten war heute, Ostersonntag 1355, nichts zu bemerken. Der Zug stockte nur lange im Jubel, weil Karl an die 1500 junge Männer mit seinem Szepter zu Rittern schlug. Pünktlich vor Sonnenuntergang legte er den Purpur ab und verließ, treulich nach seinem Eid, den Burgfrieden der Stadt. Er übernachtete in einem Kloster vor den Mauern.

    Die Heimreise geschah ziemlich zügig. Schon am 5. Mai 1355 war Karl IV. an Florenz vorbei Richtung Norden. In Pisa blieb er aber drei Wochen, wo er bei einem Aufstand in Lebensgefahr kam. Die Rebellion endete mit dem Sieg der Adelspartei, deren Unterstützer Karl während der Kämpfe zu gewinnen gewusst hat. Sieben Häupter der bisherigen bürgerlichen Stadtführung fielen unter dem Beil. Mitte Juni überschritt Karl bei Cremona den Po und erreichte über Zürich am 3. Juli Augsburg. Seine deutsche Herrschaft hatte durch den Italienzug nicht sonderlich gelitten.



    Karl IV. betätigte sich in der Folge intensiv als Gesetzgeber, seine Leidenschaft. Erste Vorschriften, die er herausgab, waren der Ketzerbekämpfung gewidmet. Besonders Böhmen war in den Sog solcher Bewegungen geraten, vornehmlich der Waldenser. Hier häuften sich Aufruhr bis hin zu tätlichen Angriffen, gar Ermordungen gegen Inquisitoren. Weitere Vorschriften galten der Festigung der Landesmacht. So durften gewisse Städte und Burgen des Kronguts, die Karl auflistete, niemals vom König verpfändet oder verkauft werden. Königinwitwen sollten enteignet werden, wenn sie noch einmal heiraten. Aber nicht nur der königliche, auch der adelige Besitz sollte stabil bleiben zum Wohle des Landes. Deshalb durfte er nicht ohne weiteres der Kirche vererbt und auch nicht im Würfelspiel versetzt werden.



    Dann beschäftigte sich Karl IV. mit der Landesverwaltung, man würde heute sagen mit Polizei und Justiz. Die niedere Gerichtsbarkeit blieb zwar beim Adel, aber der Kaiser ordnete an, die Grunduntertanen nicht an Leib und Leben zu strafen, sie zu blenden, oder ihnen Nase, Hände und Füße zu amputieren. In Gesetzten wurde der Wald geschont, Witwen geschützt, die Erbfähigkeit der Bürger und die Duellberechtigung des Adels, die alten Gottesurteile oder der Schutz der Juden abgehandelt. Das waren Punkte, die dem Adel kaum gefallen konnten. Ein Landtag in Böhmen geriet zu einer so massiven Demonstration des Widerstands seitens des Adels, dass Karl IV. sich genötigt sah, sein Gesetzeswerk für verbrannt, untergegangen, vernichtet zu erklären mitsamt der bisher darauf gesammelten Unterschriften und Siegeln, ohne dass noch eine Abschrift erhalten wäre. Man könnte mit heutigen Worten sagen: Das Gesetz kam nicht durch den Rat hindurch. Mutmaßlich war der Adel ein geschworener Feind allen geschriebenen Rechtes überhaupt. Die Fürsten bevorzugten es, bei Versammlungen unter ihresgleichen das Recht zu weisen: Das bedeutete, dass sie es in jedem einzelnen Fall „neu fanden“. Ein nachlesbares Gesetzeswerk bedeutete eine Entmachtung des Adels, auch weil die Rechtsfindung in die Hände von Richtern, ausgebildeten Beamten des Königs, überzugehen drohten.

    Die Spannungen waren mit der Vernichtung des Gesetzeswerks nicht aus der Welt geschaffen. Binnen Jahresfrist, im Mai und Juni 1356, wurden sie bewaffnet ausgetragen. Karls Widersacher waren vornehmlich vier Brüder aus dem Hause der Witigonen. Diesen Herren von Rosenberg hatten in Südböhmen seit langem ein ansehnliches Territorium arrondiert, ihre Ahnen zählten bereits zu den Widersachern Ottokars II., suchten ihn dann sogar in einer Ehe mit der Königinwitwe zu beerben und distanzierten sich auffälligerweise von jedem Königsdienst. Das Amt des Oberkämmerers, das die Stände vergaben und das die Aufsicht über die Adelsbesitzungen einschloss, war dagegen lange in ihren Händen. Der Streit, vermutlich an Vormundschaftsrechten entzündet, zeigte die Rosenberger sehr unbekümmert gegenüber königlichen Geboten. Auch beklagten sie sich über Karls Fehdeführung im Reich, nicht weil sie dort etwa einen Richter suchten, sondern Bundesgenossen. Im Hintergrund stand hier womöglich eine Konspiration, die Karls Absetzung zum Ziel hatte. Karl war erfolgreich – nicht mit einem Feldzug, sondern eher mit einer Polizeiaktion. Zur Beilegung dieser Auseinandersetzung mussten die Brüder von Rosenberg ihre Briefe an Fürsten und Städte in Deutschland widerrufen. Ansonsten gab es keine besonderen Auflagen. Mehr durfte Karl offenbar gegen die mächtigsten unter seinen Baronen nicht wagen, ohne sie zu einer gefährlichen Solidarität mit ihren Standesgenossen zu reizen. Die nächsten zwanzig Jahre wollten die böhmischen Fürsten auch nichts mehr hören von solchen Gesetzen, wie sie Karl 1355 zurückgenommen und für verloren gegangen erklärt hatte.

    Besser fuhr Karl mit dem zweiten großen legislatorischen Unternehmen, das er 1355 zu Nürnberg ins Werk setzte. Es handelte sich um die Goldene Bulle, benannt nach ihrem Siegel, das fünf Punkte umfasste: die Festlegung der weltlichen Kurwürde, die im Gegensatz zur geistlichen, durch Erbfolgefragen immer wieder strittig war; eine Münzordnung; Minderung der Rheinzölle und der Geleitsabgaben auf dem Lande; Landfriedensprobleme und schließlich Regelung der Königswahl nach den Mehrheitsverhältnissen. Am wichtigsten davon war die Definition des deutschen Königswahlrechts. Ähnlich wie es schon Ludwig der Baier formuliert hatte, wurde fortan der päpstliche Approbationsanspruch annuliert. Die Kurfürsten, die Königswähler, wurden klar definiert. Wobei: nur der König von Böhmen durfte seine Kurwürde auch mit seiner Machtstellung in Verbindung bringen. Weder Brandenburg, noch Sachsen, noch die Kurpfalz dagegen konnten gleichwertig neben die Lande der bairischen Wittelsbacher oder gar neben den habsburgischen Machtkomplex treten. Bei den drei geistlichen Kurfürstentümern sah es im deutschen Vergleich zwar unterschiedlich, im ganzen aber doch ähnlich aus.



    Die Kurfürsten erhielten Königsrechte, die sie bei unklarer Rechtslage faktisch mehr oder weniger bereits hatten. In Fragen des Burgenbaus, der Zoll- und Geleitsrechte, des Judenschutzes und der Judensteuern, des unbeschränkten Gebietserwerbs reichte die kurfürstliche Landeshoheit fortan weiter als in anderen Reichsfürstentümern, und im Schlusskapitel des Gesetzes wurden sie „die Säulen und Flanken des Imperiums“, mit Worten aus dem spätantiken Kaiserrecht unter Majestätsschutz gestellt, „denn auch sie sind ein Teil unseres Leibes“. Sie sollten sich fortan auf mindestens jährlichen Zusammenkünften an der Reichsregierung beteiligen. Bei der Königswahl nach dem Mehrheitsprinzip konnten sie sich auch selber wählen, für die Nachfolge der Kurfürsten wurde das Recht der Erstgeborenen festgesetzt, wie es bislang nur in Böhmen galt und in den übrigen Fürstentümern sich erst im Laufe der nächsten drei Jahrhunderte durchsetzte. Danach wurden auch die kurfürstlichen Lande fortan unteilbar, und insgesamt ergab sich aus dieser Festigung des Gremiums der Königswähler ein neuer Bezug zur Festigung der deutschen Monarchie: als Wahlreich aus Erbmonarchien. Die Goldene Bulle von 1356 blieb kein Pillepalle-Gesetz, es galt fortan tatsächlich als eine Art Reichsgrundgesetz und war bis zum Ende des Alten Reichs 1806 in Kraft.


    Das Vermächtnis von Karl IV.: Ein neuer Screen für die Kaiserwahl!
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  11. #326
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    Drei Familien: Luxemburg

    Zwischen den Kurfürsten des Jahres 1356 gab es noch eine andere Bindung, nämlich eine verwandtschaftliche. Pfalzgraf Ruprecht der Jüngere, Markgraf Ludwig der Römer, Herzog Rudolf von Sachsen und Karl IV. selber waren alle miteinander „Cousins“ als Enkel oder Urenkel des Königs Rudolf I. von Habsburg. Alle diese Fürsten führte ein weibliches Mittelglied, Groß- oder Urgroßmutter, zum ersten Habsburgerkönig. Zwar kann man von daher die Zugehörigkeit zum Kreis der Kurfürsten nicht definieren, doch darf man das Bewusstsein gemeinsamer königlicher Abstammung wohl in Rechnung stellen. Nur – es schloss die Habsburger selber aus.



    Diesen Umstand „heilte“ der österreichische Herzog Rudolf IV. „der Stifter“, der 1358 nach dem Tod seines Vaters Albrecht II. die Regierung in Wien übernahm. Durch seine Ehe mit Katharina von Luxemburg war Rudolf 1356 zwar zum Schwiegersohn Karls IV. geworden, das hielt ihn aber nicht von einer Politik ab, die immer die Mehrung des Habsburger Einflusses zum Ziel hatte. Im Jahre 1359 ließ der Stifte die Urkunde Privilegium Maius fälschen, das seine Dynastie faktisch den Kurfürsten im Reich hinsichtlich Unteilbarkeit, Primogenitur und Gerichtsbarkeit gleichstellte. Karl IV. ließ die Urkunde durch den Gelehrten Petrarca überprüfen, der die ganz dreisten Fälschungen daraus hervorhob, z.B. wonach bereits Caesar der Region Noricum (Österreich) besondere Privilegien ausgestellt habe. Petrarca spottete über diese Urkunde: „Sie stammt nicht gerade von Meisterhand, sondern ist eher schülerhaft zu nennen. Denn Caesar sprach nie von sich im Plural Majestatis. Das wusste jener Ochs nicht. Wenn er es gewusst hätte, hätte er vorsichtiger geblökt.“ Karl IV. verhielt sich 1360, als er über die Urkunde zu befinden hatte, differenziert. Einige Teile des Privilegium Maius verwarf er als Fälschungen, einige Sachen darin verhandelte er in veränderter Form neu aus, andere erkannte er gegenüber den Habsburgern an. Man einigte sich mit ihnen auf das politisch machbare.

    Kein anderes Kurfürstentum erhielt übrigens eine vornehmere Position in der Goldenen Bulle als Karls Königreich Böhmen. Das war keine völlige Neuerung, schon vorher war der böhmische Herrscher der einzige König unter den Kurfürsten gewesen.

    Den übrigen Reichsfürsten hatte die Goldene Bulle weniger zu sagen. Die von Karl ursprünglich beabsichtigte Förderung stadtbürgerlicher Interessen hatte er sich wieder abhandeln lassen. Zölle und Geleitsgebühren wurden durch die Bulle nicht gesenkt, kein neues Münzrecht eingeführt. Dafür aber verbot die Goldene Bulle Städtebünde, wenngleich man die Städte trotzdem nicht auf der Seite der Verlierer suchen darf. Soweit sie unter fürstlichem, zumal kurfürstlichem Schutz standen, gewannen auch sie durch die Sicherungen des Fürstentums. Soweit sie aber freie Reichsstädte waren, war der König und Kaiser ihr Herr. Eine Stärkung des Königtums musste auch ihre Anliegen mittelbar fördern. Drei Städte hob das neue Reichsgesetz dabei hervor: Frankfurt, wo künftig der König zu wählen sei, Aachen, wo er gekrönt werden und Nürnberg, wo er seinen ersten Hoftag halten müsse.



    Zu Nürnberg hatte Karl IV. eine besondere Beziehung, die Handelsstadt war für ihn die strategische Brücke zwischen den luxemburgischen Landen im Westen und in Böhmen. Das war die Erklärung für die Verbindung, die Karl zu den dortigen burggräflichen Hohenzollern suchte. Burggraf Friedrich war ohne Söhne geblieben. Als Karl IV. im Jahre 1361 endlich wieder über einen Erben verfügte, verlobte er den Säugling stracks schon nach vier Monaten mit der Erbtochter Elisabeth von Hohenzollern. Natürlich war das keine standesgemäße Verbindung, aber sie schon doch Karl wegen seiner für die deutsche Königsmacht unerlässlichen Zentrallage in Franken und der Oberpfalz, mit der er gerade im Hinblick auf das Erbe der Hohenzollern tatsächlich große Pläne hegen konnte, wichtig genug. Burggraf Friedrich wurde konsequenterweise in den Reichsfürstenstand erhoben und zum Landvogt im reichen Elsass ernannt. Auch der 1368 geborene zweite Sohn des Kaisers, mit Namen Sigmund, wurde mit einer Tochter des Burggrafen verlobt: da war der Säugling gerade einmal vier Tage (!) alt. Die auf Nürnberg gerichtete Politik des Kaisers änderte sich, als dem Burggrafen in den folgenden Jahren doch noch zwei Söhne geboren wurden. Für Karl IV. schwanden damit alle Erbaussichten, und er richtete seine Landpolitik grundlegend neu aus.



    Mitte der 1360er gebrauchte Karl IV. die Heiratspolitik, um ein erhebliches Problem aus der Welt zu schaffen. In Ungarn regierte der Anjou Ludwig I., der trotz seines Alters von 50 Jahren noch immer keinen Sohn, dafür aber zwei Töchter hatte. Karl bekam nun mit, dass der ungarische König mit den benachbarten Habsburgern über die Ehe seiner Erbprinzessin Maria mit dem künftigen Herzog von Österreich verhandelte! Kinder, Erbaussichten und andere Folgen aus dieser Verbindung waren für die Luxemburger da gar nicht abzusehen. Karl IV. drängte den Papst zu strengsten Drohungen im Hinblick auf die enge Verwandtschaft des Brautpaars und erreichte damit auch eine Sprengung der geplanten Verbindung. Wenig später (1366) nahm der Habsburgerherzog Albrecht III. die Luxemburgerin Elisabeth zur Frau; und die ungarische Prinzessin wurde zunächst einmal mit Wenzel verlobt (später aber mit Sigmund verheiratet).



    Zuversichtlich konnte Karl den Blick auch auf Brandenburg richten, hier hatten sich die Verhältnisse günstig verändert. Erinnern wir uns: Karl IV. hatte 1350 den falschen Waldemar fallengelassen, dann mit dem Herzog Ludwig dem Brandenburger, dem ältesten Sohn des Wittelsbacher-Kaisers Ludwig IV. der Baier, Frieden geschlossen und ihn unter anderem auch mit der Mark Brandenburg belehnt. Weitere Hilfe gewährte Karl seinem Lehensmann aber nicht, der sollte sich ruhig jahrelang damit beschäftigen, die Kontrolle über sein Herzogtum zu gewinnen. Als Ludwig der Brandenburger 1361 starb und zwei Jahre nach ihm auch sein Sohn Meinrad, gab der stets lauernde wittelsbachische Familienzwist Karl IV. die Gelegenheit zum Eingreifen. Er zog Herzog Otto, den jüngsten der sechs Söhne Kaiser Ludwigs, für längere Zeit an seinen Prager Hof, verlobte ihn mit seiner fünfjährigen Tochter Elisabeth und setzte dafür den zweijährigen böhmischen Kronprinzen Wenzel in eine Erbanwartschaft auf die Mark Brandenburg ein, die damals Otto und sein älterer Bruder Ludwig „der Römer“ gemeinsam innehatten. Außer Wenzel wurden auch alle männlichen Luxemburger erbberechtigt, namentlich der mährische Markgraf Johann Heinrich und seine Söhne, während diese Erbverbrüderung die anderen Wittelsbacher ausschloss. Tatsächlich blieben auch Ludwig (+1365) und Otto (+1379) ohne Söhne, und Karl gelang es auf Grundlage dieser Erbeinung, die Mark zu kaufen:

    In einem Vertrag im Dezember 1373 erwarb Karl IV. durch die Zahlung einer unerhörten Summe an Herzog Otto von Wittelsbach das Kurfürstentum Brandenburg. Auch damit folgte er einer alten böhmischen Expansionsrichtung, nach Norden, elbabwärts, die bereits sein Vater 1316 mit Erwerbungen in der Oberlausitz eröffnet hatte und die sich in der Zwischenzeit zu einem größeren Streubesitz in der Mark Meißen und zur Niederlausitz vorgeschoben hatten. Die Erwerbung der Mark Brandenburg zählt offenbar zu seinen alten Zielen, Karl zügelte im Gegenzug seinen Landerwerb in Richtung Baiern, die Wittelsbacher wollten es so. Es war eine Umorientierung: Gegen Verkauf der „neuböhmischen“ Gebiete im Süden erwarb Karl IV. Brandenburg im Norden.

    Brandenburg erwarb Karl, nachdem er die Wittelsbacher auch durch militärische Maßnahmen verkaufswillig gemacht hatte, für die ungeheure Summe einer halben Million Gulden. Zweihunderttausend davon zahlte er in bar, Zeugnis von Karls rigoroser Finanzpolitik gegenüber den Reichsstädten. Für 100.000 Gulden verkaufte Karl den Süden seines neubairischen Territoriums, für weitere 100.000 setzte er schwäbische Reichsstädte zum Pfand. Den Rest, noch einmal 100.000 Gulden, wollte er jährlich von böhmischen Einkünften abzahlen. Man sieht an den runden Summen, dass die zeitgenössischen Finanziers verhältnismäßig mit der großen Schere arbeiteten. Man erkennt an den hohen Zahlen aber auch Karls Entschlossenheit. Unmittelbar nach dem Vertrag vom Dezember 1373 folgte eine Flut von Privilegienbestätigungen für Städte und Stifte, auch für einzelne adelige Herren.

    An der Bindung zu den Hohenzollern, die Karl vorher so wichtig gewesen war, hatte er jetzt kein Interesse mehr. Das Verlöbnis zwischen seinem zweiten Sohn Sigmund und der Nürnberger Burggrafentochter löste Karl nach achtjähriger Dauer Ende 1375. Aber er präsentierte dafür die 1373 geborene Margaretha, die dann später den Burggrafensohn Johann heiratete. Sie war die Entschädigung für den Affront, Sigmunds Verlöbnis gelöst zu haben. Die Luxemburgerin Margaretha machte offenbar Eindruck in Baiern, „die was ein saubers Weib“, hieß es später.

    Kurz danach heiratete auch der Kaiser selbst ein weiteres Mal. Seine vierte und letzte Ehe wurde mit Elisabeth von Pommern geschlossen, die Auswahl der Gattin war erneut auch politisches Programm. Karls Absicht war offenbar, Elbe und Oder in ihrem gesamten Lauf in seinem Bereich zu vereinigen.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  12. #327
    Ewig unbezähmbar! Avatar von LegatBashir
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    Es macht einfach Spaß das zu lesen. Ist super interessant. Ist dieses Buch "Die deutschen Könige" oder so -das wo du als Quelle immer nennst- gut zu lesen oder ist das so trocken wie man es eigentlich erwartet? Bei dir bekommt das ganze auf alle Fälle richtig Leben

    Ich hab als Kind wahnsinnig gern "Wir Deutschen" angeschaut. Oder hieß das Die Deutschen... Auf alle Fälle diese Geschichts-Doku.
    ex flammis orior

  13. #328
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    Ja, das bzw. diese beiden würde ich tatsächlich vorrangig empfehlen:
    https://www.amazon.de/Die-deutschen-...s+mittelalters
    https://www.amazon.de/Das-Mittelalte...mp+mittelalter

    Eine gut lesbare Einzelbiografien ist z.B.
    Rudolf I. https://www.amazon.de/gp/product/322...?ie=UTF8&psc=1 Weitere Bücher vom Verlag Styria werde ich mir noch zulegen, die scheinen mir vom Schreibstil her zu liegen.
    Zu Englands Hundertjährigem Krieg gefallen mir die (kürzeren) drei Bücher von Johann Baier, je eins für eine bedeutende Schlacht. Hier geht es auch um die Waffentechnik - im Unterschied zu den historischen Romanen weiblicher Autoren, die bevorzugt etwas zur Kleidung der Charaktere schreiben.

    https://www.amazon.de/Die-franz%C3%B...KVKXVVSE5M6S9D
    Hier wurde ich leider enttäuscht - der Überblick von Ehlers über die französischen Könige ist zwar auch chronologisch je Herrscher angeordnet, aber staubtrocken geraten. Da habe ich noch nichts Empfehlenswertes gefunden.

    Kann jemand eine Empfehlung geben für ein ausführliches, gutes Buch zu den englischen Rosenkriegen? (auf deutsch)

    Dazu hatte mal an anderer Stelle hier im Forum was geschrieben.
    Meine bevorzugten Autoren zum Deutschen Mittelalter
    • Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter (schreiben sachlich und angenehm formuliert, Weinfurter sieht man manchmal in Geschichtsdokus des ZDF)
    • Ernst Wies und Gerd Althoff (älterer Stil, aber gut zu lesen)
    • Fischer-Fabian (launiger, anekdotischer Stil der alten Schule)


    Meine Empfehlungen für Mittelalter-Bücher
    • Die deutschen Herrscher des Mittelalters (Schneidmüller u.a.) - Jeder Herrscher von 800-1530 wird auf ca. 30 Seiten vorgestellt, hat einen angenehmen mittleren Tiefgang bei den Details
    • Das Mittelalter (Knefelkamp) - geht 800 Jahre Historie gut formuliert und zügig durch, ohne nur eine Aneinanderreihung von Fakten zu sein
    • Der Kampf um die Krone (Jürgen Kaiser) - ein illustrierter Band im DINA4-Format, guter Einstieg in die Dynastien von Karolingern bis Habsburger
    • Von Ratlosen und Löwenherzen (Gable) - launiges Taschenbuch zu den englischen Königen des Mittelalters
    • Gottes erste Diener (De Rosa) - launiger Überblick zu den Päpsten des Mittelalters
    • Heinrich der Löwe (Helmut Hiller) - das Buch ist aus den 70ern, also auch älterer Stil (der mir oft aber besser gefällt als mancher heutige Autor)


    Es gibt zwar auch zu den englischen und französischen Königen des Mittelalters gute Überblicke, die sind aber mächtig trocken geraten. Ich denke, dass oft die Übersetzungen ins Deutsche das Lesen so hölzern werden lassen.

    Neuere Geschichte:
    • Themen Preußen, Kaiserzeit und Erster Weltkrieg: Christopher Clark - gut zu lesen, aber schon mächtig ins Detail gehend
    • Kampf um Vorherrschaft (Brendam Simms) - europäische Machtpolitik von 1453 bis heute, es dreht sich eigentlich immer um das zentral gelegene Deutschland
    • Hitler (Joachim Fest) - das Standardwerk aus den 70ern, eine Biografie mit tausend Seiten
    • Hitler und Stalin (Bullock) - interessanter Kapitelwechsel hin und her zwischen den beiden Biografien
    • Wendepunkte - Schlüsselentscheidungen im 2. Weltkrieg (Ian Kershaw) - über die damaligen strategischen Erwägungen der Kriegsherren


    Außerdem:
    • Kriegsgeschichte (Montgomery) - kleiner Überblick über 5.000 Jahre Militär, der Autor ist der britische General
    • Das Alte Ägypten (Schlögl) - der beste Überblick über alle Pharaonen der dreitausend Jahre, jeder wird chronologisch mit einem Kapitel behandelt


    P.S. Für Fachbücher kommt man wegen der Kaufpreise nicht um einen Bücherei-Ausweis herum. Besser noch, ein Ausweis für die nächstgelegene Uni-Bibliothek. So zahle ich für die Uni Düsseldorf lediglich 15 Euro Gebühr im Jahr, das ist geschenkt. Allerdings finde ich dort "nur" Bücher zu echt spezifischen Themen. Also keine Überblicke wie oben genannt, sondern Titel wie "Münzwesen im Mittleren Ägyptischen Reich" oder "Die deutschen Gegenkönige des elften Jahrhunderts".
    Geändert von Mark (31. Januar 2018 um 18:10 Uhr)
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  14. #329
    Registrierter Benutzer Avatar von Mark
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    Drei Familien: Luxemburg

    Das weiter gefasste Ziel war dürfte es gewesen sein, eine große Fernhandelsstraße von Prag bis zur Ost- und Nordsee, ja von Venedig über Prag bis dorthin zu erschaffen. Für den König von Polen waren das nicht hinnehmbare Aussichten. Ein Machtblock von Böhmen, Brandenburg, der Lausitz, Schlesien und nun auch Pommern bedeutete auf längere Sicht das Ende polnischer Unabhängigkeit, das wusste König Kasimir. Prompt trat das unheimliche Schicksal wieder auf Karls Seite: Kasimir III. (genannt der Große) starb im November 1370, Karls brandenburgische Politik war nicht mehr zu erschüttern.



    Weil mit Kasimir III. die Piasten in königlicher Linie ausstarben, fiel Polen gemäß älterer Vereinbarungen an den Anjou Ludwig I. von Ungarn, einem Sohn von Kasimirs Schwester. Mit Ludwig war einst eine Tochter von Karl IV. verheiratet gewesen, nämlich Margarete. Die war allerdings schon 1349 im Alter von 14 Jahren gestorben und Ludwig hatte neu geheiratet. Um es vorweg zu nehmen: Der Anjou hinterließ bei seinem Tod 1382 zwei Töchter, von denen eine (Hedwig) die Krone von Polen erbte, und die zweite (Maria) Ungarn erhielt. Diese Maria heiratete Karls zweiter Sohn Sigmund 1385, Sigmund wurde so selber zum König von Ungarn.

    Wenn wir schon bei der Nachfolge des Kaisers sind, ich muss mal die ganzen Ehen und Kinder sortieren, um den Überblick zu behalten.

    Erste Ehe: Blanca von Valois
    • Margarete (*1335 +1349), war verheiratet mit dem Valois Ludwig I. von Polen
    • Katharina (*1342), zunächst mit dem Habsburger Rudolf IV. dem Stifter verheiratet, nach dessen Tod 1366 verheiratet mit dem Wittelsbacher Otto V. von Brandenburg


    Zweite Ehe: Anna von der Pfalz
    • Wenzel (*1350 +1351), der erstgeborene Sohn starb im Alter von nur einem Jahr


    Dritte Ehe: Anna von Schweidnitz
    • Elisabeth (*1358 +1373), heiratete 1366 den österreichischen Herzog Albrecht III. von Habsburg, den Bruder und Nachfolger des Stifters
    • Wenzel (*1361), der neue Erstgeborene und designierte Nachfolger, zumindest in Böhmen


    Vierte Ehe: Elisabeth von Pommern
    • Anne (*1366), sie sollte später den englischen König Richard II. heiraten
    • Sigmund (*1368), wie erwähnt wurde er später König von Ungarn – und mehr...
    • Johann (*1370), wird später der Markgraf von Brandenburg
    • Karl (*1372 +1373), stirbt noch als Kind
    • Margarete (*1373), wird dem Nürnberger Burggrafen Johann zur Frau gegeben, nachdem das Verlöbnis von Sigmund mit der Hohenzollern-Tochter aufgelöst wird
    • Heinrich (*1377 +1378), stirbt noch als Kind


    Für die Nachfolge von Bedeutung waren die hervorgehobenen Söhne Wenzel und Sigmund. Der erstere war am 24. Februar 1361 in Nürnberg zur Welt gekommen, der Geburtsort war bewusst gewählt: Auf dem Hradschin in Prag wäre er - mit Blick auf die böhmische Krone - besser zur Welt gekommen, auf der Kaiserburg zu Nürnberg aber sollte der künftige Kaiser geboren werden. Karl IV. war so erfreut über die Geburt seines Thronfolgers, dass er das Gewicht des Säuglings in Gold aufwiegen ließ und dieses nach Aachen sandte. Der Kaiser ließ die Reichskleinodien von Prag nach Nürnberg bringen und stellte sie eine Woche lang aus, zum Zeichen der engen Bindung des Imperiums mit dem Neugeborenen. Die Taufe von Wenzel begleiteten fünf Kurfürsten und 18 Bischöfe, ein prominentes Publikum. Zu diesem Ereignis ergab sich eine Legende, die einen Schatten auf das Kind warf: Wenzel verunreinigte demnach nämlich das Taufwasser und beschmutzte anschließend auch den Altar. Das waren Vorzeichen, dass unter seiner Regierung alles Heilige von den Ketzern verdorben würde. In der Tat: Wenzel ging später als „der Faule“ und, schlimmer noch, als Freund der Ketzer und Hussiten in das Andenken ein.



    Kaum konnte der Kronprinz laufen, ließ ihn Karl IV. am 15. Juni 1363 in Prag zum böhmischen König krönen, eine ungewöhnliche Vorwegnahme seines Nachfolgeanspruchs, die Karl auch gegen den Rat seines vertrauten Erzbischofs durchsetzte. Denn ein gekröntes Kind, so gab der Erzbischof unter anderem zu bedenken, werde sich schwer in der rechten Weise erziehen lassen. So kam es dann auch: Seine Erzieher machten aus ihm einen zwar gebildeten, aber auch unschlüssigen und unselbstständigen Menschen. Der Vater hatte großes mit Wenzel vor und verheiratete ihn im Alter von neun Jahren mit der Wittelsbacherin Johanna (es galt wieder einmal, die rivalisierenden Dynastien einzubinden bzw. zu spalten). Und mit nur zwölf Jahren wurde Wenzel 1373 Kurfürst, als der Vater ihn mit der Mark Brandenburg belehnte.



    Das Ziel war deutlich erkennbar – Karl IV. wollte möglichst rasch seinen Sohn zum Nachfolger auf dem deutschen Thron wählen lassen. Zu diesem Zweck nahm der Kaiser wieder reichlich Geld in die Hand. So zahlte er 50.000 Gulden an den Pfalzgrafen Ruprecht im Hinblick auf „künftige Dienste“. Karl konnte sich das leisten, weil er nach dem großen Adelass seiner ersten fünf Regierungsjahre (eine sagenhafte Summe von 1,5 Millionen Gulden, weit mehr als die maximal 300 Gold, die man sich in CK2 leihen kann), in der folgenden 20jährigen Spanne wirtschaftete er erheblich sparsamer mit dem Reichsgut. Aber eben Wenzels Wahl ist dann der Anlass, dass in Karls vier letzten Regierungsjahren noch einmal eine Pfandschuld von mehr als 250.000 Gulden anwächst. Das zeitweise Verpfänden von Einkünften fehlt übrigens als Mechanik im Spiel grundsätzlich.

    Die Reichsstädte reagierten verbittert auf ihre eigene Verpfändung durch den Kaiser (ein Hinweis darauf, wie die Mechanik des Verpfändens im Spiel laufen könnte: Meinungsabzug bei den Bürgermeistern, so wie die Geldleihe bei den Juden die Meinung der Kirchenvasallen mindert) und lehnten wenig überraschend die Königswahl von Wenzel grundsätzlich ab. Diese Wahl fand am 10. Juni 1376 in Frankfurt statt, der jugendliche Wenzel wurde von den Kurfürsten einstimmig zum deutschen König gewählt. Selbst die Wittelsbacher hatte der Kaiser dafür auf seine Seite bringen können, für Karl IV. war das noch einmal ein besonderer Triumph.

    Das feierliche Gepränge in Frankfurt und die Krönung in Aachen konnten den Zwist mit den 18 verpfändeten Reichsstädten nicht aus der Welt schaffen. Unter der Führung von Ulm weigerten sie sich, dem jungen König zu huldigen. Karl IV. zögerte nicht vor der härtesten Konsequenz, er verkündete einen Reichskrieg. Den schwäbischen Adeligen konnte es nur recht sein, wenn der Kaiser hier gegen die allzu selbstbewussten Städte vorging. Aber an der Belagerung von Ulm biss sich Karl die Zähne aus, er musste einlenken und - auch im Namen seines Sohnes - versprechen, dass er künftig eine beständig wohlwollende Politik gegenüber den Städten führen würde. Die Erklärung des Kaisers, es sei ihm nie in den Sinn gekommen, getreue Städte zu verpfänden, klang nach der unmittelbaren Vorgeschichte allerdings nicht glaubhaft. Eine Garantie, dass es künftig keine Verpfändungen mehr geben würde, war die Erklärung ebenfalls nicht.

    Am 22. Februar 1377 bestellte Karl dann seinen Sohn Wenzel zum Statthalter, ehe er nach Brandenburg aufbrach. Im Sinn dieser Vollmacht hob Wenzel einige Tage später die kaiserliche Acht gegen die Kölner und Regensburger auf. Der schwäbische Städtebund hingegen war inzwischen auf 28 Mitglieder angewachsen, und hatte Kontakte zu anderen Städten wie Frankfurt aufgenommen, ja sogar zu Adeligen wie dem Grafen von Württemberg oder den Habsburgern, deren Einfluss Karl IV. zu fürchten hatte. Erst jetzt nahm er den Unmut des Städtebundes ernst und schloss mit Nürnberger Hilfe einen Landfrieden, der ihm die Huldigung der schwäbischen Städte für Wenzel einbrachte. Die Städte hatten erreicht, was sie haben wollten: Die Garantie ihrer Unverpfändbarkeit. Bemerkenswert, was der bürgerliche Stand inzwischen durch sein gemeinschaftliches Auftreten gegenüber Adel und Klerus durchzusetzen vermochte.

    Mit seinen 60 Jahren machte sich Karl IV. nun noch einmal auf den Weg nach Avignon, zum Papst. Es ging unter anderem um das Eindämmen der Söldnerbanden im Westen des Reiches, die einem kaiserlichen Feldzug auswichen und lange die elsässischen Städte bedrohten. Und es wurde etwas besprochen, dass in der Story von nun an noch einige Male erwähnt werden wird: Vom Türkenplan war schon die Rede. Man muss sich das mal vorstellen: 1369 bereits war der byzantinische Kaiser in Avignon erschienen und hatte seinen Übertritt zum Katholizismus und das Ende des morgenländischen Schismas angeboten, wenn ihm dafür Hilfe zuteil würde gegen die Einkreisung seines Reiches durch die islamischen Truppen der Türken. Jedoch, Kaiser Johannes V. sprach nicht für den byzantinischen Klerus, der das Aufgeben der Orthodoxie glatt ablehnte. Der Kaiser nahm ein beschämendes Ende: Er landete zunächst in einem venezianischen Schuldturm und musste später Militärdienst im Gefolge von Sultan Murad I. leisten.

    Eigentlich wollte Karl IV. bei seinem Besuch in Avignon mit dem Papst besprechen, wie er sich die personelle Besetzung einiger wichtiger Bistümer im Reich vorstellte. An den Kaiser aber richtete Papst Urban stattdessen den dringenden Wunsch, von Avignon endlich nach Rom zurückkehren zu können. Für Karl bedeutete das, einen neuerlichen Romzug auf sich zu nehmen. Zum Thema der personellen Besetzung der Bistümer meinte Urban lediglich: „Wir können nur sagen, Herr Kaiser, dass wir alles gern nach Eurem Belieben tun wollen“. Was eine glatte Lüge war.

    Was den zweiten Romzug Karls IV. angeht, kann man es kurz ausdrücken: Am Ende der Unternehmung hatte er kaum etwas gewonnen. Der finanzielle Gewinn war zweifelhaft, denn den erzielten Steuerleistungen italienischer Städte standen ansehnliche Ausgaben für Söldner, Diplomaten und Geschenke gegenüber. So musste Karl unterwegs sogar seine Krone versetzen. Der Gewinn an Ehre und Ansehen kam dem des ersten Romzugs nicht gleich, auch wenn Karl noch einmal eine feierliche Zeremonie in Rom veranstaltete, bei der seine vierte Gemahlin Elisabeth die Kaiserkrone empfing. Es blieb aber auch kein politischer Gewinn. Zwar erzielte Karl in den italienischen Städten ordentliche Anerkennung, aber die hatte nur solange Bestand, wie er sich in Italien aufhielt. Kaum hatte er das Land verlassen, war alles wieder beim Alten. Das galt auch für die Rückkehr des Papstes nach Rom. Der Franzose Gregor IX. war so unbeliebt in Rom, dass er bald seine Rückkehr nach Avignon ins Auge fasste. Nur sein Tod am 26. März 1378 in Rom dürfte verhindert haben, dass es dazu kam.

    Die Wahl des Nachfolgers auf dem Stuhl Petri wurde mal richtig schwierig. Die Römer erwarteten, dass einer der ihren das Amt erhält und drückten ihren Favoriten Bartolomeo Prignano (Urban VI.) durch. Die Franzosen waren natürlich dagegen, sie zogen ihre Kardinäle im Protest aus Rom zurück und erklärten (nicht ohne Grund), die Wahl Urbans sei unter Druck zustande gekommen. Am 20. September wählten die Franzosen im nahen Fondi Clemens VII. zu „ihrem“ Papst. Die Christenheit war gespalten! Fast vierzig Jahre, für die Zeitgenossen eine schier unerträgliche Zeit, sollte dieses sogenannte Abendländische Schisma andauern. Die Lösung des Problems scheiterte auch wegen der französisch-deutschen Rivalität. Karl IV. sah in Urban den rechtmäßigen Papst, was durchaus gegen seine vordergründigen Interessen sprach: Denn anders als der römische war der neugewählte Papst Clemens von vornherein zur Anerkennung der deutschen Königswahl von Karls Sohn Wenzel bereits. So schürzten sich in den letzten Lebenswochen des Kaisers noch einmal die Probleme aus der Wahl seines Sohnes und der Wahl des Papstes, aus den französischen Interessen und seinem kaiserlichen Anspruch auf die Schutzherrschaft in der Christenheit zu einem bedrohlichen Knoten. Karl hat ihn nicht mehr lösen können.

    Gegenüber Frankreich war Karl seit langem in der Defensive. 1378 erfüllte er etwas, das die französische Diplomatie schon seit über zwanzig Jahren von ihm wollte, die Abtretung des Arelat an den Dauphine, dem Thronfolger der Valois. Der Kaiser richtete seinen Blick zuletzt nämlich auf Ungarn und dem Wettbewerb um die Nachfolge des söhnelosen Königs Ludwig dort.

    Die Vorgeschichte: Vor gut hundert Jahren (1265) hatte Karl von Anjou, seit 1246 Graf der Provence, ein Bruder des französischen Königs, mit Hilfe des Papstes die Nachfolge der staufischen Dynastie in Unteritalien und Sizilien angetreten. In Unteritalien hatte sich die Anjou-Herrschaft dann auch behauptet und vierzig Jahre später auch jenseits der Adria Fuß gefasst, im Königreich Ungarn. Dort war 1301 die einheimische Dynastie erloschen, ein Karl Robert von Anjou beerbte sie schließlich. Ungarn reichte damals über Kroatien bis an die nördliche Adria. Im Lauf des Jahrhunderts dehnte das Königreich Ungarn unter den Anjou seine Macht immer weiter in Südosteuropa aus. Aber auch den Norden band es in seine Politik. Neben lebhaften Beziehungen zu Österreich und Böhmen, zu Habsburgern und Luxemburgern also, auch durch Eheschlüsse, näherten sich die ungarischen Ambitionen besonders dem Königreich Polen, das zur selben Zeit wie das ungarische Reich seine Grenzen nachhaltig nach dem Osten ausgeweitet hatte. 1370 war Kasimir der Große von Polen ohne männliche Erben gestorben. Da wurde nun Ludwig der Große von Ungarn sein Nachfolger, weil er der Sohn von Kasimirs Schwester Elisabeth war, einer der bemerkenswertesten Frauen unter den Königinnen des Mittelalters, die am ungarischen Hof in Buda jahrzehntelang mitgewoben hatte an den Fäden der ungarischen Politik, besonders an den Bindungen an ihr Heimatland Polen. Nun hatte auch König Ludwig von Ungarn und Polen keinen Sohn. Und gleichzeitig fehlte ein Erbe für das Anjou-Reich in Unteritalien. Deshalb ließ sich das kühne Projekt erdenken, die aus Frankreich stammende Anjou-Dynastie eben auch aus Frankreich, wieder durch einen Prinzen aus dem Königshaus, zu beerben, vor dem sich im weiten Halbkreis vom Mutterland aus die Provence, Unteritalien, Ungarn und womöglich gar Polen ausgebreitet hätte. Deshalb jedenfalls hatte Frankreichs König Karl V. auch seinen Zweitgeborenen Ludwig mit Katharina, der ältesten Tochter König Ludwigs von Ungarn und Polen verlobt.

    Eine solche Entwicklung konnte Karl IV. nicht unberührt lassen. Den Übergang der Provence und Unteritaliens aus den Händen der Königin Johanna von Neapel an die nächste französische Sekondugenitur hätte er zwar durchaus hinnehmen können, aber eine ungarische, gar eine polnische Erbschaft der Franzosen musste ihn alarmieren. Immerhin hatte er in Buda seine Ansprüche rechtzeitig angemeldet. 1365 schon war der damals vierjährige Wenzel mit einer Nichte des damals noch kinderlosen Königs Ludwig verlobt worden. Dieses Verhältnis löste man zwar bald wieder, denn es schien vordringlich, den inzwischen neunjährigen Thronfolger Wenzel mit Johanna von Wittelsbach zu verheiraten, einer Enkelin Ludwigs des Baiern. Aber der zweite Sohn Karls, Sigmund, der 1368 zur Welt gekommen war, rückte bald in die ungarische Position ein, nachdem eine Verlobung mit einer Tochter des Nürnberger Burggrafen, die man auf seinen Namen eingegangen war, wieder gelöst worden war. Er wurde also mit Maria von Ungarn verlobt, der zweiten Tochter König Ludwigs, und dieses Verlöbnis führte ihn auch, nach dem Eheschluss 1385, schließlich und endlich zum ungarischen Thron.

    Ursprünglich hatte Karl IV. bei Sigmunds Ehebund eigentlich nicht an Ungarn gedacht, sondern an die Nachfolge in Polen, als Krönung seiner ganzen Ostpolitik. So erscheint sein hartnäckiger Kampf um die Mark Brandenburg als Teilstück eines großen Konzeptes: Er galt nicht, wie oft vermutet, einem imaginären panslawischen Staatsgebilde, sondern dem sehr handfesten Projekt, von Böhmen aus elb- und oderabwärts bis zur Ostseeküste und von Schlesien und Brandenburg aus jenseits der Oder über die Weichsel bis zum Bug ein Großreich der luxemburgischen Macht zu errichten.

    Nun hatten aber, im Herbst 1377, die Dinge eine für Karls Pläne dramatische Wende genommen. Karl V. von Frankreich suchte die Verhandlungen mit König Ludwig von Ungarn zu einem Abschluss zu bringen und das große Anjou-Erbe für den kleinen Prinzen Ludwig zu sichern. Er sandte eine Delegation von Paris nach Buda, eine Gegengesandtschaft Ende 1377 wurde in Paris reich beschenkt. Gerade zu dieser Zeit traf Kaiser Karl am Ort der Verhandlungen ein.

    Zum einen wollte er wohl seinen Sohn Wenzel, inzwischen zum böhmischen und deutschen König gekrönt, in Paris einführen, um die traditionellen luxemburgisch-französischen Beziehungen zu sichern. Womöglich galten Karls Gespräche auch dem Schicksal des Papsttums, das zwischen Rom und Avignon zerrissen zu werden drohte. Vielleicht hatte der alte Kaiser, den die Gicht stark plagte, auch einfach den Wunsch, den Ort und die Menschen seiner Jugendjahre wiederzusehen. Als er der Schwester seiner ersten Frau begegnete, brach er in Tränen aus. Mit Sicherheit aber hatte der Staatsbesuch, der den französischen Etat nicht weniger als 50.000 Goldfranken kostete, den Zweck, die dringende Absprache über das Anjou-Erbe zu führen. Das Gipfeltreffen der beiden Monarchen, der nur die beiden Kanzler beiwohnten, fand am 5. Januar 1378 statt. Es gibt keinen Bericht von dem dreistündigen Gespräch.

    Was aber geschah danach? Am selben Tag noch wurde der zehnjährige Thronfolger vom Kaiser für mündig erklärt. Das war ein Rechtsakt, der einer Majestät zustand. Sogleich wurde der Dauphin von Karl IV. mit Vienne und dem Arelat ausgestattet, der Knabe wurde auf Lebenszeit offiziell Reichsstatthalter und Generalvikar dieses Gebiets. So weit, so klar. Und worin bestand die französische Gegenleistung? In der Zurückhaltung beim Vorantreiben der französisch-ungarischen Vermählung. Der französische König beschränkte sich darauf, sich in Buda Zusicherungen bezüglich der Zukunft der Provence und der anderen Anjou-Gebiete einzuholen. Aber nicht zu Ungarn. Wirklich offenbar wurde das, als am 8. Mai 1378 die für die Heirat vorgesehene Tochter Ludwigs starb und Frankreich keine neue Braut benannte. Es gab ja noch eine dritte Tochter, Hedwig, aber die hat später, als Erbin der polnischen Krone, auf ganz andere Weise große Geschichte in Civ6 gemacht.



    War also, muss man nach dieser Entwicklung der Dinge fragen, das Arelat-Angebot des Kaisers der Spatz in der Hand, den der französische König der ungarischen Taube auf dem Dach vorzog? Offenbar hatte der Kaiser eine geschickte Geheimdiplomatie betrieben. Und das Thema Arelat war nicht endgültig, eine regelrechte Gebietsabtretung von Reichsgebiet an Frankreich war das nicht. Die Zusage galt auf Lebenszeit des Thronfolgers – und war nicht vererbbar. Kein schlechter Deal also, trotzdem hat Karl IV. wegen der Sache mit dem Arelat in der Historie einige Schläge bezogen und erhielt auch dafür den Beinamen „Stiefvater des Reiches“.

    Karl starb am 28. November 1378. Zwei Wochen lang wurde er in Prager Kirchen aufgebahrt. Seine Nachrufe nannten ihn einen zweiten Konstantin, einen Heiligen, einen Friedenskaiser. Mit ihm ging eine Epoche der europäischen Monarchie ins Grab, eine Generation begabter Herrscher: 1370 starb Kasimir der Große, 1375 Waldemar von Dänemark, 1377 Englands Eduard III., 1380 Karl V. von Frankreich, 1382 Ludwig der Große von Ungarn und im selben Jahr der Hochmeister Winrich von Kniprode im preußischen Ordensstaat. Sie alle waren bedeutende Herrscher mindestens in diesem Jahrhundert in ihren Landen, sie alle fanden schwache Nachfolger. Und nicht anders war die Situation auf dem päpstlichen Thron, seit Karls Todesjahr gelähmt durch den Streit um die Rechtmäßigkeit zwischen Rom und Avignon.

    Gleichzeitig erlebten die Städte des Abendlandes das Zeitalter größter innerer Auseinandersetzungen zwischen den alten Stadtregimentern und bisher Minderberechtigten, in Florenz wie in Siena, in Lucca wie in Pisa, in Köln wie in Lübeck oder München, in Frankreich wie in Spanien. In England erhoben sich 1381, wie andernorts, Bauern und Kleinbürger zu einem bedrohlichen Zug zur Hauptstadt London: „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ Jäh schienen alle Bande der alten Ordnung gelöst. Während die Schweizer sich im Südwesten behaupteten und die Hanse für längere Zeit noch im Norden, während auch Nürnberg ihre Position zu halten wusste, begann sich in Deutschland das Blatt schon zu wenden zugunsten des fürstlichen Standes, König und Städte verloren an Einfluss.

    Karl hatte im Lauf von 42 Jahren elf Kinder gezeugt, die ihm vier Frauen geboren hatten. Als sein erstes zur Welt kam, war er 19 Jahre. Mit 61 Jahren, kaum ein Jahr vor seinem Tod, wurde er zum letzten Mal Vater. Ende 1376 suchte er die luxemburgische Erbfolge testamentarisch zu regeln. Er bedachte darin einen jeden seiner vier lebenden Söhne, auch den gerade geborenen Heinrich. Er vermied eine Teilung der Hauptmasse seines luxemburgischen Hausbesitzes, was ihm das böhmsiche Thronrecht ohnedies verwehrt hätte. Aber Görlitz löste er aus dem Gesamtbesitz zugunsten des 1370 geborenen Johann, und das Stammland Luxemburg bestimmte er, bei der Kinderlosigkeit seines noch regierenden Halbbruders Wenzel, seinem Jüngsten, Heinrich. Der zehnjährige Sigmund sollte die Mark Brandenburg erben und mit seiner Braut die Krone Polens. Sigmund aber wurde auf diesem Weg, Jahre danach, König von Ungarn. So reifte anstelle von Karls nordöstlichen Ambitionen eine starke Position im Südosten. Vorher aber regierte Wenzel, der älteste lebende Sohn, nach seinem Vater 22 Jahre als böhmischer und römischer König. Man kann es nicht anders sagen: Der Sohn, dem Karl IV. alle Hindernisse auf dem Weg zu diesen Kronen beiseite geräumt hatte, erwies sich als spektakulärer Versager: Wenzel war ein Alkoholiker auf dem Thron und erhielt den Beinamen „der Faule“.


    Literatur
    Ferdinand Seibt – Karl IV. Ein Kaiser in Europa
    GEO Epoche – Die Pest


    Video
    Karl IV. und der Schwarze Tod

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  15. #330
    vom Werwolf gebissen Avatar von Kampfhamster
    Registriert seit
    29.01.09
    Beiträge
    2.513
    Es ist stets lesenswert, was du schreibst, und ich freue mich jedes Mal, wenn es in dieser Geschichte ein Update gibt.
    Die aktuelle Story:

    [Col2 Werewolves] Nich lang schnacken, Seesack packen!


    Die Story des Monats Juli 2010:

    Tom Driscoll und seine Gefährten begeben sich in das Testgewölbe.
    letzte Aktualisierung: 31.1.2013, 20:19 Uhr

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