Jetzt geht's mal wieder zurück auf die Insel. Hier spielt die Diplomatie mal wieder nicht so die Rolle wie bei den deutschen Kapiteln.
Der Hundertjährige Krieg, Teil 1 – Edward III.
Edward III. Plantagenet, lebte 1312-1377
König von England 1327-1377
Start: 1. Januar 1327
Schon seit mehreren Kapiteln schildere ich immer wieder, wie die Könige von England und Frankreich miteinander im Streit lagen. Dieser Konflikt sollte im Jahre 1337 in den Ausbruch des Hundertjährigen Kriegs münden, als nämlich der englische König Anspruch auf sein größtmögliches Ziel, den französischen Thron erhob. Er hatte in Frankreich natürlich Gegner und musste zu den Waffen greifen, wenn er diese Krone haben wollte. Dieser nun ausbrechende Krieg überdauerte seine Protagonisten um Längen, denn er endete erst nach 116 Jahren im Jahre 1453 – da sind wir schon im Bereich von Europa Universalis 4.
Um die Ursachen für den Hundertjährigen Krieg zu benennen, muss man im Grunde bis zum Jahr 1066 zurückgehen: Da starb der englische König Eduard der Bekenner, ohne eigene Nachkommen zu hinterlassen. Er bestimmte vor seinem Tod, dass der Sohn seines Cousins die englische Krone bekommen solle. Und das war William, der zu dieser Zeit bereits der Herzog der Normandie war.
Im dem Kapitel zu William dem Eroberer beschrieb ich ausführlich, wie es ihm gelang, sich den englischen Thron zu sichern und eine Dynastie zu begründen. Der springende Punkt war von nun an, dass der englische König zugleich der Herzog der Normandie, dank kluger Heiratspolitik später auch der Herzog von Aquitanien, war. Und das waren Gebiete, die vom französischen König als Lehen ausgegeben wurden.
Seitdem erinnerten die französischen Könige aus dem Geschlecht der Kapetinger die Plantagenet auf dem englischen Thron beharrlich an diesen Umstand, und forderten regelmäßig den Lehnseid für diese Ländereien ein. Natürlich mochten sich die englischen Könige nicht unterordnen, die Folge waren diverse diplomatische und militärische Rangeleien. Die englischen Besitzungen auf dem Kontinent waren Frankreich stets ein Stachel im Fleisch und bildeten einen ganzen Strauß an De-jure-Kriegsgründen.
Zuletzt gab es 1259 zwischen Henry III. und Louis IX. einen umfassenden Vertrag, der die Verhältnisse klären sollte. Der Plantagenet erhielt von dem Kapetinger das Herzogtum Guyenne mit Bordeaux als Hauptstadt zu Lehen. Dafür verzichtete Henry auf Anjou, Maine und die Tourraine, gab seinen Titel als Herzog der Normandie ebenso auf wie den des Grafen von Anjou. Was als dauerhaftes Friedensabkommen gedacht war, führte jedoch im Laufe der Zeit weiterhin zu unvereinbar gegensätzlichen Positionen. Denn die englischen Könige wollten ihr französisches Lehnsgut wie Eigentum behandeln und behalten, während die Könige von Frankreich ihren mächtigen Vasallen gänzlich vom Kontinent zu vertreiben suchten. Unter Edward I. (dem Hammer der Schotten) und seinem Sohn Edward II. (dem mit dem Günstling Gaveston) steigerten sich die Spannungen bis zur Entladung in den 1330ern. Das war die Zeit, in der Edward III. in England ans Ruder kam. Mit dem Tod des „Schottenhammers“ Edward I. schloss 1307 das letzte englische Kapitel in dieser Story. Bevor es mit Edward III. losgeht, soll zunächst die zwanzigjährige Lücke geschlossen werden. In dieser Zeit saß sein Vater Edward II. auf dem Thron.
Der Vater: Edward II. (1307-1327)
Manche Historiker halten Edward II. für den jämmerlichsten Versager, der je auf Englands Thron gesessen hat. Und seine Zeitgenossen waren so fassungslos darüber, dass ein Löwe wie Edward I. einen so spektakulären Versager gezeugt haben sollte, dass es bald Gerüchte gab, der junge Edward sei in der Wiege vertauscht worden. Aber diese einfache, wenn auch wenig originelle Erklärung konnte kaum zutreffen, war der neue König seinem Vater doch wie aus dem Gesicht geschnitten, wenn auch kein solcher Hüne.
Edward II. war ein wankelmütiger, weinerlicher, unschlüssiger und feiger König, was womöglich daran lag, dass er als Kind im Schatten des imposanten, autoritären Vaters stand. Der junge Prinz hat eine wohl eher einsame Kindheit erlebt und klammerte sich später mit fanatischer Treue an seine Freunde. Eigentlich eine schöne Eigenschaft. Edward II. besaß jedoch ein erstaunliches Talent dafür, sich immer wieder die falschen Freunde auszusuchen, und das riss England dann ins Verhängnis.
Kaum auf dem Thron, gestaltete Edward II. den königlichen Hof nach seinen Vorstellungen und tauschte so manchen Berater aus, darunter den einflussreichen Schatzmeister Walter Langton. Mit dem war Edward II. zwei Jahre zuvor – da noch in seiner Eigenschaft als Thronfolger - aneinandergeraten, vermutlich wegen der hohen Kosten seines aufwendigen Lebensstils. Damals ergriff Edwards Vater für den mächtigen, jedoch unbeliebten Schatzmeister Partei und verbannte Edward II. vom königlichen Hof. Damit wollte Vater Edward seinen Sohn vermutlich auch von einigen seiner Freunde trennen, deren Einfluss er missbilligte. Jetzt, da der alte König tot war, entband Edward II. zügig den alten Schatzmeister Walter Langton unter entwürdigen Umständen seines Amtes, tauschte auch andere altgediente Berater seines Vaters aus und setzte seine eigenen Leute in die Ratsämter Kanzler, Marschall und Kämmerer ein. Zudem rief Edward II. einflussreiche Gegner seines Vorgängers aus dem Exil ins Inselreich zurück, darunter Erzbischof Robert von Canterbury.
Schnell zeigte sich, dass der neue König die Rechte des Parlaments, die sich die Barone jahrzehntelang erkämpft hatten, nicht sonderlich respektieren wollte. Das erzeugte großen Unmut bei den Lords, der sich vordergründig in ihrem Streit mit dem König wegen dessen Berater und Günstlinge entlud. Zu denen gehörte der junge, aus Aquitanien stammende Piers (Peter) Gaveston, den der frühere König Edward I. selbst im Jahre 1300 in den Haushalt des Thronfolgers aufgenommen hatte. Gaveston war der engste Freund Edwards II. geworden und hatte großen Einfluss auf ihn. Schon die Zeitgenossen argwöhnten, dass zwischen den beiden auch ein sexuelles Verhältnis bestand, was aber nicht sicher ist. Jedenfalls fühlten sich die Barone durch das parvenuhafte Verhalten provoziert. In den Augen der Lords war Gaveston ein Niemand, aber noch 1307 erhob Edward II. ihn zum Grafen von Cornwall. Standesmäßig zusätzlich abgesichert wurde Gaveston, indem er die Nichte des Königs heiraten durfte. Die Lords murrten.
Edward II. selber heiratete im Januar 1308 seine bisherige Verlobte Isabella, die Tochter des französischen Königs Philippe. Zum Entsetzen der englischen Barone ernannte Edward seinen Günstling Gaveston zum Regenten über England, solange er wegen der Hochzeit außer Landes weilte. Einen Monat später fand dann in London die Krönung Edwards statt, die zwölfjährige Isabella an seiner Seite wurde zur Königin von England gekrönt. Dabei fühlte sich Isabella durch Gaveston rangmäßig zurückgesetzt, weil der als Träger der Sankt-Eduard-Krone auftrat, was umgehend zu Verstimmungen am französischen Hof führte.
Die Barone sorgten vor, dass der neue König ihre Rechte nicht missachten würde und legten ihm einen veränderten Krönungseid vor, in dem er nicht nur wie seine Vorgänger die bisherigen Gesetze und Verfügungen zu achten versprach, sondern auch diejenigen Gesetze zur „Gemeinschaft des Reiches“, die noch zukünftig erlassen werden würden. Das schränkte den politischen Handlungsspielraum des Königs weiter ein. Im März 1308 ging es in einer Parlamentssitzung einen Schritt weiter, wo die Barone eine klare Trennung zwischen der Person des Monarchen und der Institution des Königtums betonten. Damit versetzten sich die Magnaten in das Recht, in einer Konfliktsituation, die zur Schmälerung der Kronrechte führen würde, einzugreifen. Und damit nahmen sie aktuell und ganz konkret den königlichen Berater Gaveston ins Visier. Tatsächlich gelang es den Baronen, so viel politischen Druck auf Edward II. aufzubauen, dass sie ihn nötigen konnten, Gaveston von der Insel wegzuschicken, Richtung Irland. Das war übrigens nicht die erste Verbannung vom Hof: Edwards Vater hatte Gaveston seinerzeit bereits zweimal vom königlichen Hof fortgeschickt, aber damals hatte Edward II. seinem energischen Vater die Stirn geboten und seinen Favoriten beide Male zurückgeholt. Es war zwischen Vater, Sohn und Günstling also nicht so harsch abgelaufen, wie das hier dargestellt wird.
Aber okay, im Sommer 1308 waren es nun die Barone, die Gavestons dritte Verbannung durchsetzten. Vordergründig lief der Streit zwischen König und Parlament um die „schlechten Berater“, also Gaveston, mit denen sich Edward II. umgeben würde (der König holte sich Gaveston auch ein drittes Mal an seinen Hof zurück). Im Kern ging es aber um die königliche Herrschaftspraxis, die das Parlament als übergriffig empfand. Ultimativ forderten die Barone eine „Regierungsreform“, die von einer Kommission ausgearbeitet und im August 1311 dann auch vorgelegt wurde. Gemäß der „Ordinances“ wurde der König der Kontrolle des Parlaments unterstellt. So musste er etwa seine personellen Entscheidungen von den Baronen absegnen lassen und brauchte die Zustimmung des Parlaments, um Kriege erklären zu können sowie um das Land zum Zweck der Kriegsführung zu verlassen. Nicht zuletzt musste das Parlament zweimal jährlich vom König einberufen werden.
Die Barone waren mit dem Stil des Königs aus mehreren Gründen nicht einverstanden: Erstens interessierte sich Edward II. im Gegensatz zu seinem Vater nicht für außenpolitische Aktivitäten, was meistens gleichbedeutend mit Kriegsführung war. Kein Krieg – kein Ruhm (für die gewöhnlichen Untertanen war das – das muss man mal erwähnen – eine gute Sache, denn England erlebte endlich einmal eine längere Friedensperiode). Edward II. bevorzugte die Diplomatie und knüpfte auf dem Kontinent Kontakte zu den deutschen Monarchen Albrecht I. bzw. Heinrich VII. sowie zum französischen Königshof. Einen Feldzug unternahm er immerhin einmal im September 1310 gegen Schottlands König Robert I. Bruce, den er jedoch ergebnislos abbrechen musste. Die Schotten hatten wieder einmal ihre Guerillataktik eingesetzt.
Zweitens sanierte der Plantagenet eben dadurch, dass er keine kostspieligen Kriege führte, seine Finanzen. Das machte ihn unabhängiger vom Parlament, wo er ansonsten für jede Steuererhebung nach der Erlaubnis der Barone hätte fragen müssen. Statt sich bei ihnen das nötige Geld zu holen, verschuldete sich der König bei dem Bankier Amerigo Frescobaldi, einem Italiener. Gefiel den Fürsten entsprechend auch nicht.
Drittens widmete sich Edward II. nicht den üblichen Hobbys eines Monarchen, von dem man Jagden, Turniere und Hoffeste oder sonstigen ritterlichen Zeitvertreib erwartete. Edward mochte bäuerliche Sportarten wie Rudern und Angeln, er versuchte sich in verschiedenen Handwerken und interessierte sich sogar für Landwirtschaft. Ein volksnaher König, würde man heute wohlwollend sagen. Aber Edwards Zeitgenossen – Lords wie Bauern – war dieser schrullige König so unendlich peinlich, dass sie vom Zuschauen feuchte Hände und Bauchschmerzen bekamen. Erinnert mich an jemanden...
Es ist nicht verwunderlich, dass Edward II. um eine baldige Revision der „Ordonances“ bemüht war, die aus England quasi eine parlamentarische Monarchie machten. Die stärkste Gegenwehr hatte der König dabei von seinem eigenen Cousin zu erwarten, Thomas von Lancaster. Der gebot über nicht weniger als fünf Grafschaften im Norden Englands, war also ein echter Magnat. Edward II. hatte vielleicht noch die Vertreibung seines italienischen Geldgebers Frecobaldi hingenommen, der - unter Verlust seiner ausstehenden Forderungen gegenüber dem König, so ein Pech – das Land fluchtartig verlassen musste. Aber am Schicksal seines Günstlings Gaveston zeigte sich Edward interessierter. Der war 1311 als Exilant am Hof des französischen Königs gelandet, wo er bald Repressionen ausgesetzt war. Zur Erinnerung: Philippe IV. war der Vater von Edwards Frau Isabella, die durch Gavestons Verhalten während ihrer Hochzeit provoziert worden war. Das hatte Philippe offenbar nicht vergessen. Gaveston sah zu, dass er aus Paris wegkam und kehrte über Flandern im Dezember 1311 nach England zurück. Dass Gaveston trotz jeder Verbannung schon wieder beim König war, erzürnte die Barone endgültig. Sie schlossen sich unter Thomas von Lancaster zusammen und vereinbarten, nun auch militärisch gegen den König vorzugehen.
Während einige Barone die wichtigen Regionen Englands zu sichern hatten, marschierten andere mit einem gemeinsamen Heer gegen Edward, der sich in Newcastle befand. Am 4. Mai 1312 türmte der königliche Hof fluchtartig vor den anrückenden Soldaten, wobei Edward II. einen mitgeführten Schatz und zahlreiche Juwelen zurücklassen musste. Während der König sich nach York zurückzog, floh Gaveston nach Scarborough, wo er bald von den Grafen von Pembroke und Surrey belagert wurde.
Die beiden brachten Gaveston dazu, aufzugeben, indem sie ihm eidlich die persönliche Unversehrtheit und eine parlamentarische Prüfung seines Falles zusicherten. Beim Abtransport brachen die Grafen aber ihren Eid und ließen Gaveston des Verrats anklagen und verurteilen. Die Hinrichtung fand sogleich am 19. Juni 1312 statt, Gaveston wurde von zwei walisischen Soldaten aus Thomas Lancasters Truppe exekutiert. Die enthauptete Leiche übergab man den Dominikanern, die wegen der fortbestehenden Exkommunikation des Hingerichteten eine Beisetzung auf unbestimmte Zeit verschieben mussten.