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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #376
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    Solche Geschichten gab es immer wieder mal. Hier tippe ich, dass das Detail mit der Prophezeiung im Nachhinein erzählt worden ist.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  2. #377
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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2



    Henry V. (1413-1422) und Charles VI.

    In vieler Hinsicht kam König Henry V. dem Ideal des mittelalterlich-christlichen Königs näher als alle anderen Monarchen seiner Zeit. Er galt als gerecht und war der Kirche als gläubiger Christ zugetan. Henry war ein athletischer Mann, von frühester Jugend an in den Disziplinen des Rittertums erzogen und trainiert. Er war ein tapferer, ritterlicher Kämpfer, begierig auf Schlachtenruhm und Ehre. Als Sohn von Henry IV. und Enkel des Lancasters John of Gaunt war er der Spross einer ganzen Reihe von Männern, deren Heldentaten in Geschichten und Liedern besungen wurden. Vieles an Henry V. erinnerte an seinen Urgroßvater Edward III. und an dessen Großvater Edward I. (dem Schottenhammer), die beide große Kriegerkönige gewesen waren.



    Shakespeare setzte ihm später mit seinem Theaterstück ein kulturelles Denkmal. Henrys Jugend verlief allerdings ganz anders als Shakespeare es darstellt. Geboren wurde Henry am 16. September 1387 im südlichen Wales und wuchs unter der Obhut seines Onkels Henry Baufort auf. Als Henry zwölf Jahre alt war, setzte sein Vater den König Richard II. ab und bestieg selber den Thron. Es schadete dem Knaben nicht, dass er zuvor Richards Geisel gewesen war. Nach der gelungenen Machtübernahme schlug ihn der Vater vor seiner Krönung zum Ritter.

    Shakespeare schildert den jungen Thronfolger als Tunichtgut, der mit seinen Saufkumpanen eher zweifelhafte Streiche, ja sogar Verbrechen verübt. Im wirklichen Leben hatte Prinz Henry wohl kaum Zeit für derartige Umtriebe. Seine Jugend war eine einzige Abfolge von Feldzügen. Bereits im Jahr 1400 kämpfte er gegen die Schotten, Zwei Jahre später, im Alter von fünfzehn, war er nomineller Befehlshaber des Heeres, das einen Aufstand in Wales niederschlagen sollte. Dieser Feldzug lehrte Henry die Härten des Krieges. Nacht für Nacht verbrachte er das Heer im Freien, in Nässe und Kälte, hungrig, auf der Spur eines Feindes, dessen Strategie der überraschenden Überfälle und schnellen Rückzüge kaum beizukommen war. Henry lernte schnell.

    Im Jahr 1403 wechselte das Haus Percy, das bisher den König unterstützt hatte, die Seiten. Die Percys hatten Lancaster auf den Thron geholfen, jetzt wollten sie die ganze Macht und verbündeten mit dem walisischen Aufrührer Owen Glendower, und ihre Streitkräfte zogen im Sommer 1403 los, um sich ihm anzuschließen. König Henry IV. führte ihnen sein Heer entgegen, um sie abzufangen, bevor ihnen eine Vereinigung mit den Walisern gelingen konnte. Am 21. Juli 1403 standen sich die beiden Heere gegenüber, knapp vor der Grenze zu Wales. Die Königlichen mussten den Hügel stürmen, auf dem die Truppen des Hauses Percy Stellung bezogen hatten. Sie kämpften sich durch einen Pfeilhagel bergauf. Der 16jährige Prinz Henry, der den linken Flügel befehligte, wurde dabei von einem Pfeil im Gesicht getroffen und verletzt. Er wich nicht zurück und ertrug den Schmerz, bis zum Sieg.



    Für Henry war diese Schlacht eine Feuertaufe. Zum ersten Mal konnte er seinen Mut in einer offenen Schlacht unter Beweis stellen. Und zum ersten Mal hatte er am eigenen Leib die gefährliche Macht des Langbogens erfahren müssen, jener dominanten Waffe, die er später selbst so erfolgreich gegen die Franzosen einsetzen sollte. Darüber hinaus machte ihn die Erfahrung dieser Schlacht zu einem der wenigen Befehlshaber, die im Hundertjährigen Krieg an einer offenen Feldschlacht teilgenommen hatten, da zu jener Zeit die Kriege hauptsächlich in Form von kleinen Scharmützeln und langen Belagerungen ausgefochten wurden. Die nächsten Jahre brachten weitere Feldzüge gegen die Percys, ihre Allianz mit den Walisern war noch lange nicht geschlagen. Prinz Henry reifte in diesen Jahren zum erfahrenen Feldherrn.



    Vom Januar 1410 an war er Mitglied des Kronrats, der wegen des schlechten Gesundheitszustandes des Königs die Regierungsgeschäfte übernehmen musste. Prinz Henry dominierte diesen gemeinsam mit seinen beiden Onkeln, Henry Beaufort, dem Bischof von Winchester, und Thomas Beaufort, dem Herzog von Exeter. So übte Henry bereits weitreichende Regierungsgewalt in England aus, wenn auch nur kurz: Da es wegen der Außenpolitik zu Meinungsverschiedenheiten kam – Henry wollte die Partei der Burgunder in Frankreich unterstützen, während sein Vater die Armangnacs bevorzugte – entließ ihn dieser im November 1411 aus dem Rat.

    Wie erwähnt schlug die Stunde des jungen Thronfolgers im März 1413, als Henry IV. starb. Bei der Krönung Henrys V. am 9. April 1413 gab es heftige Gewitter mit Hagel, Sturmböen und sogar Schneegestöber. Niemand war überrascht. Dieser König war ein äußerst ungestümer Prinz gewesen, das extreme Wetter bei seiner Krönung galt den Menschen wohl als Vorgeschmack auf die stürmischen Regierungsjahre, die ihnen bevorstehen sollten. Doch Henry überraschte seine Untertanen, indem er seinen Lebenswandel seinem Amt entsprechend anpasste. Er wurde ernst und fleißig und angeblich sogar enthaltsam, um sich für die französische Prinzessin aufzusparen, die er zweifellos bald heiraten würde.

    Henry V. ernannte seinen Onkel, Bischof Beaufort von Winchester, wieder zum Lord Chancellor und pumpte ihn an, weil der Bischof der reichste Mann in England war und König Henry Geld für sein ehrgeiziges Projekt brauchte: Er wollte den Krieg gegen Frankreich wieder beleben und vor allem gewinnen. Er wollte die französische Krone. Bevor er allerdings aufbrechen konnte, um sie sich zu holen, galt es erst einmal, der Welt zu beweisen, dass er überhaupt die englische Krone zu Recht trug. Dass er selbst zutiefst von der Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft überzeugt war und deswegen keine Konkurrenz fürchtete, weder tote noch lebendige. Also schockierte er seine Brüder und seinen Kronrat, indem er den ermordeten König Richard II. aus dem verschwiegenen Grab holen ließ, und ihn mit allem angemessenen Pomp in Westminster Abbey beisetzen ließ. Auch seinen Cousin, den Grafen von March, der ja streng genommen einen besseren Thronanspruch hatte als er, ließ er aus einer irischen Festung zu seinem Hof bringen. Offenbar war Edmund dankbar für seine Freilassung und von dem Charisma des Königs überwältigt, dass er seine untergeordnete Rolle akzeptierte. Aber nicht alle in England dachten so wie Edmund.

    Während Henry V. immer schärfere Botschaften mit dem König von Frankreich und vor allem dessen Sohn, dem Dauphin, um einen Casus Belli zu konstruieren, fiel ihm ein alter Freund in den Rücken: Sir John Oldcastle war ein Lollarde. Obwohl der junge König entschlossen und ziemlich unbarmherzig gegen diese Ketzer vorging, hatte er Oldcastles Gesinnung immer toleriert, weil der seit Jugendzeiten zu seinen Gefährten gezählt hatte. Aber Anfang 1414 zettelte Oldcastle einen Aufstand der Lollarden an. Während der Weihnachtsfeierlichkeiten am Hof in Eltham sollten der König und seine Brüder gefangen genommen und ermordet werden. Gleichzeitig sollten sich bis zu 20.000 Lollarden außerhalb Londons sammeln, um das Land im Handstreich zu nehmen. Aber der Plan wurde aufgedeckt und vereitelt. Das Heer der Lollarden löste sich rasch wieder auf, einige Rädelsführer, darunter Oldcastle, wurden hingerichtet.

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  3. #378
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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2

    Die Vorbereitungen für den Feldzug konnten weitergehen. Im ganzen Land wurden Truppen ausgehoben, Schiffe wurden gebaut, Zimmerleute und Bogenbauer in Scharen angeheuert. Dass es so viele gute Bogenschützen in England gab, war kein Zufall: Schon seit Jahrzehnten wurde es dem einfachen Volk auferlegt, am Sonntag nach dem Gottesdienst am Bogen zu trainieren. Anderer Zeitvertreib wie das Fußballspielen wurde verboten, damit sich die Leute darauf konzentrierten. So wuchs über die Jahre immer wieder eine Generation guter Schützen heran, die sowohl die technische Fertigkeit als auch die körperliche Robustheit mitbrachte, die man für die Zugkraft und Genauigkeit am Langbogen benötigte.

    Diplomatisch waren die Voraussetzungen für den Krieg gegen Frankreich ebenfalls herangereift. Wie erwähnt, Henry V. leitete seinen Anspruch auf die französische Krone über die Ehe seines Ur-Urgroßvaters Edward II. mit Isabella, der Tochter des Königs Philippe IV. von Frankreich, ab. Aus dieser Ehe ging Edward III. hervor, der erstmals den Anspruch auf die französische Krone erhoben hatte. Allerdings hatte dieser Anspruch einen Schönheitsfehler: In Frankreich galt das Salische Recht. Dieses um 486 entstandene Gesetzeswerk der Salfranken verbot die Weitergabe der Königswürde durch Frauen: „Auf Weiber soll nicht erben Salisch Land“. Nach englischem Recht konnten Frauen jedoch Titel erben. Henry V. und seine Kronjuristen wiesen die französische Rechtsauffassung natürlich ab: „Dies Sal'sche Land nun deuten die Franzosen als Frankreich fälschlich aus. Doch treu bezogen ihrer Schreiber, dass dieses Sal'sche Land in Deutschland liegt, zwischen der Sala und der Elbe Strömen, so zeigt sich klar: das Salische Gesetz ward nicht ersonnen für der Franken Reich.“



    Im Frühjahr 1415 waren die Verhandlungen mit den Abgesandten des französischen Hofes endgültig gescheitert. Henry V. hatte Forderungen gestellt, von denen er wusste, dass sie für die Gegenseite unannehmbar waren. So forderte er das immense Lösegeld nach, dass Edward III. seinerzeit für seinen Gefangenen König Jean erhoben hatte, das aber wegen Jeans Tod nicht mehr zur Zahlung gekommen war. Die Geschichte lag immerhin 75 Jahre zurück, jetzt holte sie Henry wieder hervor und provozierte die Franzosen damit. Der Dauphin beantwortete die Forderung mit der Übersendung von Tennisbällen – dem Geschenk für ein verspieltes Kind.

    Doch das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frankreich sich in einer schwierigen innenpolitischen Situation befand. In Paris saß seit 1380 Charles VI. auf dem Thron, den man spätestens ab 1392 als regierungsunfähig bezeichnen muss – wenn man sich vorsichtig ausdrückt. Deutlicher formuliert ist der Beiname, den man Charles VI. gab: Charles le fou, der Wahnsinnige.



    Zwar hatte Charles zwischendurch immer wieder auch klare Momente, aber es war eine großartige Zeit für Strippenzieher im Hintergrund. Das waren zum einen die beiden Onkel des Königs, aber auch sein jüngerer Bruder Louis, dem ehrgeizigen Herzog von Orleans. Um 1400 hatten sich zwei Parteien herausgebildet, die um die Macht im Land rangen: Die Partei um Louis von Orleans (die Orleanisten) sowie die Partei um Herzog Philippe von Burgund (die Bourguignons). Beide Fraktionsführer waren bald tot: Philippe starb im Jahre 1404, ihm folgte sein Sohn Johann Ohnefurcht in Burgund – und der ließ 1407 seinen Konkurrenten Louis erstechen. In Orleans folgte Louis' Sohn Charles nach. Die beiden jungen Männer waren sich verständlicherweise in herzlicher Feindschaft verbunden, es kam 1410 zum offenen Bürgerkrieg in Frankreich. Der Orleans verbündete sich dabei mit Louis von Anjou sowie Graf Bernhard VII. von Armagnac gegen die Burgunder. Im Jahre 1413 siegten die Armagnacs und übernahmen in Paris die Herrschaft. Vorläufig endeten die Kampfhandlungen, besiegt war Burgund deshalb aber noch lange nicht. Frankreich war durch diese Krise und unter dem geisteskranken König deutlich geschwächt, es war wie eine Einladung an den englischen König Henry, den Feldzug gegen Frankreich zu beginnen.



    Henry V. hatte sein Heer im Juli gemustert. Rund 2.500 Men-at-arms und 8.000 Bogenschützen waren aus allen Teilen Englands zum Einschiffen gekommen. Dazu gesellten sich noch Artilleristen, Belagerungsspezialisten, Handwerker, Pagen, Knechte und weit über 10.000 Pferde. An Ausrüstung waren Bögen, Pfeile, Kanonen und Belagerungsgerät gefertigt und verladen worden. Die für die Überfahrt nötigen 300 Schiffe hatte man auf Befehl des Königs angeheuert und manchmal zwangsweise in den Dienst gepresst. Zum Vergleich: Die englische „Marine“ dürfte zu dieser Zeit vielleicht 30 Schiffe umfasst haben.



    Am Morgen des 14. August 1415 war es soweit, das englische Invasionsheer betrat nahe der Seinemündung den französischen Boden und schlug sein Lager vor der Stadt Harfleur auf, die sogleich belagert wurde. Der König beabsichtigte von Beginn an, in seinem Heer strenge Disziplin zu halten. Plündern, Konfiszieren und Brandschatzen war dem englischen Soldaten bei Strafe untersagt, vor allem kirchliches Eigentum stand unter Schutz. Wer gegen diese Vorschriften verstieß, riskierte es, gehenkt zu werden. Henry V. betrachtete Frankreich als sein eigenes Land, nicht als Territorium des Feindes. Harfleur war für Henry ein wichtiges strategisches Ziel, die Stadt war ein wichtiger Handelshafen, unter anderem für die wichtige Weberei-Industrie. Von hier aus führte die Seine stromaufwärts direkt nach Paris.

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  4. #379
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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2

    Doch die Belagerung lief nicht besonders günstig für die Engländer. Die Verteidiger wehrten sich geschickt und im englischen Heer brach zudem die Durchfallerkrankung Ruhr aus – was bei dem feuchtwarmen Wetter, dem morastigen Boden und den schlechten hygienischen Bedingungen im dicht gedrängten Heerlager kein Wunder war. Die französischen Verteidiger widerstanden Sturmangriffen und Kanonenbeschuss. Am Ende war es das Ausbleiben von Verstärkungen, Charles VI. schickte keinen Entsatz. Als Harfleur sich am 23. September 1415 ergab und Henry in die Stadt einziehen konnte, hatte er einen Großteil seiner Männer während der Belagerung verloren. Kämpfe, Desertionen und die Ruhr hatten die Reihen seines Heeres merklich ausgedünnt. Und der Rest war in angeschlagenem Zustand, die Essensrationen der Soldaten waren auf Dauer zu mickrig.



    Nachdem er Harfleur endlich eingenommen hatte, musste Henry überlegen, wie er weiter vorgehen wollte. Die Belagerung hatte länger gedauert als erwartet, die Verluste höher als gedacht. Zudem musste der König rund 1.200 Mann als Besatzungstruppen in der Stadt zurücklassen. Das Heer, das Henry V. jetzt noch zur Verfügung stand, war auf 1.000 men-at-arms und 5.000 Bogenschützen zusammengeschmolzen. Sollte Henry einen direkten Marsch auf Paris geplant haben, konnte er das nun vergessen. Zwar hemmten die vielen Regenfälle und Überschwemmungen in Frankreich auch die Gegner in ihren Operationsmöglichkeiten – aber Paris einnehmen? Unmöglich mit ein paar tausend Mann. Ein Rückzug nach England schien vernünftiger, doch das ging Henry gegen seine Ehre. Er musste dem Gegner zumindest eine offene Feldschlacht anbieten, das gebot die Ritterlichkeit. Henry beschloss, nach Calais zu marschieren, seiner zweiten stark befestigten Stadt am Ärmelkanal. Wenn es ihm gelang, sein Banner quer durch das Land zu tragen, ohne dass eine französische Armee ihn aufhielt, würde das einen schweren Schlag für die Reputation Charles VI. bedeuten. Die Zahl seiner Gegner war deutlich größer, Henrys Vorteil war die bessere Beweglichkeit seines kleinen Heeres.

    Am 8. Oktober 1415 ging es los Richtung Calais, ein Weg von 160 Meilen, die Henry in nur acht Tagen zurückzulegen gedachte. Eine ehrgeizige Aufgabe für seine Männer, besonders bei dem schlechten Wetter! Für diese acht Tage war das Heer mit Proviant ausgestattet, mehr nicht. Nach fünf Tagen erreichten die Engländer wie geplant die Furt Blanchetaque, die schon Edward III. 1346 überquert hatte. Und wie damals wurde das englische Heer von den Franzosen auf der anderen Flussseite erwartet. Anders als damals wagten die Engländer jetzt nicht, den Übergang zu erkämpfen, ein anderer Übergang musste gefunden werden. Es begann ein Katz-und-Maus-Spiel, denn das französische Heer zog auf der gegenüberliegenden Flussseite mit. Neuen Proviant holte sich Henry von einigen kleinen französischen Festungen, die sich damit von einem angedrohten Sturmangriff loskauften. Trotzdem, die Lage wurde prekär, im englischen Heer sank mit jedem Tag die Moral. Erst am 19. Oktober gelang es Henry dank eines Nachtmarsches, das gegnerische Heer auszumanövrieren und über die Somme zu setzen. Es folgten einige Tage harten Marsches, in denen die Engländer stets das französische Heer im Nacken hatten. Inzwischen war allen Soldaten in Henrys Armee klargeworden, um wie viel stärker die französischen Truppen waren und dass sie des Todes sein würden, wenn sie einer Schlacht nicht würden ausweichen können.



    Am 24. Oktober 1415 war dieser Punkt erreicht, die beiden Heere lagen nur noch eine Meile auseinander, eine Schlacht war unausweichlich geworden. Henry V. ließ seine Männer bei Azincourt eine Anhöhe erklimmen, von der aus sie einen guten Blick über das Umland hatten. Der Anblick erschreckte sie: Der Gegner trat in mindestens doppelter Überzahl an (die Schätzungen schwanken hier, frühere Schätzungen gingen von einer noch deutlicheren, drei- oder vierfachen Übermacht aus). Die Engländer befestigten ihre Stellung, in der einer langen Reihe, die schweren Truppen im Zentrum, die Bogenschützen an den Flanken. Die Schützen trieben angespitzte Holzstangen in den Boden, um hinter ihnen vor Reiterattacken gesichert zu sein. Das Schlachtfeld vor ihnen hatte eine Schlauchform, an den Seiten von Wäldern begrenzt. Ihnen gegenüber marschierten derweil die Franzosen auf, doch sie griffen nicht an.

    König Henry V. ritt seine Schlachtreihe entlang. Er saß auf einem kleinen grauen Pferd, trug seinen Tabard mit dem Wappen Englands über der glänzenden Rüstung, seine goldene Krone auf dem Helm. Die vergoldeten Sporen waren nicht an seinen Füßen: Er zeigte seinen Männern damit ganz deutlich, dass er in ihrer Reihe stehen wird, dass er Seite an Seite mit ihnen kämpfen wird und dass er sich ebenso wenig wie sie auf einem schnellen Pferd die Flucht ergreifen kann. Immer wieder hielt der König vor seiner Schlachtreihe an, rief seinen Männern aufmunternde Worte zu. Und versicherte ihnen, dass seine, dass ihre Sache gerecht sei. Großen Ruhm und Ansehen würden sie zu ihren Familien nach England zurückbringen, wenn sie gut kämpften. Darüber hinaus erinnerte Henry sie daran, dass die Franzosen geprahlt hätten, sie würden drei Finger von der rechten Hand eines jeden gefangenen Bogenschützen abschneiden, so dass sie ihre Waffe nie wieder würden abfeuern können. Die englischen Bogner reagierten auf die Drohung, indem sie die Franzosen mit erhobener Faust grüßten, von der die drei bedrohten Finger abgespreizt waren (daraus entwickelte sich später das Victory-Zeichen, wie es auch von Winston Churchill verwendet wurde).

    Aus den von Chronisten überlieferten Ansprachen hat später Shakespeare dem König die berühmte Rede in den Mund gelegt: „Streift seine Ärmel auf und zeigt seine Narben und sagt: „Am Krispinstag empfing ich die.“ Die Alten sind vergesslich, doch wenn alles vergessen ist, wird er sich noch erinnern mit manchem Zusatz, was er an dem Tag für Stücke tat. Dann werden unsre Namen geläufig seinem Mund wie Alltagsworte. Und Edelleut' in England, jetzt im Bett verfluchen einst, dass sie nicht hier gewesen. Und werden kleinlaut, wenn nur jemand spricht, der mit uns focht am Sankt Crispinustag.“



    Stundenlang belauerten sich die Heere, doch keiner tat den Angriff. Warum eigentlich und was geschah in dieser Zeit? Sicher, die Engländer waren schlicht zu wenige, als dass sie es sich hätten erlauben können, ihre defensive Aufstellung verlassen zu können. Auf der anderen Seite hatten die französischen Schützen ordentlichen Respekt vor den englischen Langbögen, außerdem hatten sie auf den Befehl zum Vorrücken zu warten. Die Adeligen konnten es sich gut erlauben, noch ein wenig abzuwarten. Sie wussten, dass die Engländer nicht weg konnten und dass sie hungrig, krank und erschöpft waren. Ohne Vorräte würden sie nicht lange durchhalten. Was war bei den Franzosen passiert, dass sie nicht ihrerseits die Bogen- und Armbrustschützen ins Gefecht geschickt hatten? Immerhin waren die Soldaten des französischen Heeres begierig auf die Schlacht. Sie waren siegesgewiss, und im Gegensatz zu den Engländern weder hungrig noch erschöpft. In der Nacht hatten die Adeligen um die Lösegelder für die gefangenen Gegner gespielt, die sie zu nehmen gedachten. Der Sieg war den Franzosen gewiss, die Engländer waren um ein mehrfaches unterlegen. Die Masse des französischen Heeres war unüberschaubar groß, gedrängt in dem Raum zwischen den an beiden Seiten gelegenen Wäldern. Die Reihen der Franzosen waren in den Stunden vor der Schlacht in ständiger Bewegung gewesen. Immer wieder kamen neue Adelige aus den hinteren Reihen nach vorne und verdrängten die Männer geringen Ranges von ihrem Platz. Jeder wollte den Ruhm ernten, den der Sieg bringen wird. Jedem war klar, dass die Übermacht der ersten Division, die alleine dem englischen Heer bereits zahlenmäßig überlegen war, den Sieg erringen wird. Für die Angehörigen des französischen Hochadels war es untragbar, hinten zu stehen, während geringe Männer Ruhm und Ehre gewinnen.

    Unzählige Fahnen, Banner und Pennons, jene langen, schwalbenschwänzigen Fahnen, die die persönlichen Symbole ihrer Besitzer trugen, wehten über den Reihen der Vorhut. Jeder Adelige, der es geschafft hat, sich in die erste Abteilung zu drängen, die auf den Feind treffen wird, demonstrierte stolz seine Anwesenheit. Der Wald der Fahnen war so dicht, dass die Männer von ihm behindert wurden und ihnen die Sicht genommen wurde. Die Feldzeichen der höchsten Adeligen, die zum Signalisieren von Befehlen dienen sollten, waren in der Masse nicht mehr zu erkennen. Unter dem lautstarken Protest ihrer Besitzer wurden die Fahnen der weniger bedeutenden Heeren eingerollt und nach hinten gebracht.

    Nahezu der gesamte Hochadel Frankreichs war auf dem Schlachtfeld versammelt. Neben dem Herzog Charles von Orleans (dem ranghöchsten Adeligen nach den Angehörigen des Königshauses) und den Herzögen von Bourbon, Bar und Alencon standen zahllose Grafen, Barone und andere hohe Herren in der Schlachtreihe. Während der Herzog von Orleans unter seinem Banner stand, war sein größter Widersacher, Herzog Johann von Burgund, nicht bei den Truppen. Seitdem Johann wie erwähnt Charles' Vater hatte ermorden lassen, lebten die beiden Männer in Blutfehde. Der König hatte, im Bewusstsein der Rivalität der beiden Männer, darauf verzichtet, einem der beiden den Oberbefehl über das Heer zu geben. Der Herzog von Burgund hatte es daraufhin abgelehnt, an dem Feldzug teilzunehmen, und dies auch seinem Sohn Philippe verboten. Seinen Untertanen aber hatte er die Teilnahme freigestellt.

    Die nominellen Kommandanten des Heeres in Azincourt waren daher erfahrene Heerführer, jedoch nicht von so hohem Rang. Charles d'Albret war seit 1402 als Connétable von Frankreich im Amt, Marschall Jean le Maingre ein Mann von internationalem Ruf. Er hatte eine führende Rolle im gescheiterten Kreuzzug von 1396 gespielt, war bei Nicopolis in die Gefangenschaft von Sultan Bayezid geraten und gegen Lösegeld freigekommen. Bereits im Jahre 1399 hatte Jean wieder mitgeholfen, Konstantinopel gegen osmanische Angriffe zu verteidigen und sich damit schon zu Lebzeiten zu einer Legende gemacht. Nur: Den Herzögen und Grafen galten die Verdienste der beiden Heerführer wenig. Für sie waren sie Männer geringeren Standes, denen ihr eigener Adel weit überlegen war. Sie dachten nicht daran, sich der Befehlsgewalt zu beugen, die der König beiden übertragen hatte (der König selbst war in Azincourt nicht anwesend). Das bedeutete, dass im Heer, vor allem in seiner Spitze, Anarchie herrschte. Jeder wollte befehlen, niemand die Befehle eines anderen ausführen, schon gar nicht von einem, der geringerer Herkunft war. Die im Vorfeld geplante Taktik der beiden Befehlshaber, die einen kombinierten Angriff der eigenen Schützen und Reiter vorsah, um die englischen Bogner auszuschalten, um danach mit den Schützen und schweren Fußtruppen den Kern der englischen Armee zu vernichten, kam in Azincourt also gar nicht zur Anwendung. Der Plan war gut, und mit einer disziplinierteren Armee als der französischen wäre er ziemlich sicher erfolgreich gewesen. Die geistige Welt, in der das französische Rittertum lebte, verhinderte jedoch seine Umsetzung.

    Für den Adel, der sein Leben lang für den Kampf auf dem Schlachtfeld trainiert und vorbereitet worden war, galt das Ideal des ritterlichen Duells, ähnlich dem bei einem Turnier. Das Fußvolk der geringeren Männer hatte in Augen der Ritter allenfalls eine zweitrangige Rolle, nämlich ihnen als eine Art mobiles Schutzschild zu dienen. Die Realität sah inzwischen anders aus. Im Laufe des Mittelalters gewannen die Fußtruppen eine wachsende Bedeutung auf dem Schlachtfeld. Söldner, die wie die Ritter ebenfalls professionell für den Kampf ausgebildet waren, lösten die Scharen von Bauern ab. Die französischen Ritter verachteten Fußvolk wie Söldner, und verachteten die Engländer, die der Infanterie so viel Bedeutung einräumten. Klar, nachdem die Franzosen bei Crecy und Poitiers die beiden schweren Niederlagen hatten hinnehmen müssen, wäre es nur natürlich gewesen, die Taktik der Engländer zu kopieren und ihre eigenen Langbogenschützen einzusetzen. Das taten die Franzosen trotz aller sozialen Bedenken auch – eigentlich sollten bei Azincourt nicht weniger als 4.500 Bogenschützen nebst 1.500 Armbrustschützen und einigen Männern mit Feuerwaffen die feindlichen Langbögen niederhalten. Der Hochmut und die Ruhmsucht der französischen Adeligen verhinderten dies jedoch. Immer mehr von den Schützen wurden von ihnen nach hinten geschickt. In der Zeit, in der die Heere sich gegenüberstanden, blieb bald kein einziger französischer Schütze in den vorderen Reihen. Die Ritter beanspruchten die Vorhut für sich, um mit den gegnerischen Rittern die Sache auszufechten. Nur wer sich in ihr befand, würde Ruhm und Ehre ernten. Angesichts der geringen Größe des englischen Heeres sollte schon für die zweite französische Division nichts mehr zum Kampfe übrig bleiben.



    Einzelne Reiter überquerten das Feld und hielten auf den englischen König zu. Keine Hand hob sich, kein Bogen wurde gespannt. Es waren Herolde, die dem König eine Botschaft der französischen Kommandanten brachten. Sie waren von den Gesetzen der ritterlichen Gesellschaft geschützt, niemand durfte sie verletzen oder töten. Henry V. kam ihnen mit einigen wenigen Begleitern entgegen. Er wusste, dass nun das Feilschen um seine Ansprüche, um die Früchte seines Feldzuges und um das Leben jedes Einzelnen hier auf diesem Acker beginnen sollte. Die Herolde boten ihm freien Abzug an, wenn er auf seinen Anspruch auf die französische Krone und auf das eben erst eroberte Harfleur verzichtet. Die Guienne, Henrys Lehen im Südwesten Frankreichs, sollte er behalten dürfen. Der König erwiderte, den Anspruch auf die französische Krone sowie auf Harfleur nur dann fallen zu lassen, wenn ihm die Guienne um fünf Städte sowie um die Grafschaft Ponthieu erweitert werden würde. Darüber hinaus forderte Henry die Hand Katharinas, der Tochter König Charles, mitsamt einer Mitgift von 300.000 Gold. Das waren unerhörte Forderungen, aber nachdem Henry V. jahrelang so laut für diesen Feldzug getrommelt hatte, konnte er jetzt nicht nur mit einem Trostpreis nach England zurückkehren. Immerhin gab Henry dafür ja seinen Anspruch auf die Krone auf. Im französischen Lager gab es durchaus viele mit der Meinung, eine Schlacht wäre unnötig. Politisch betrachtet war das wohl so, angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse dieses Tages war die Schlacht trotzdem wahrscheinlicher. Der französische Adel wollte die günstige Gelegenheit nutzen, den Gegner vernichten und so die Schlappen von Crecy und Poitiers ausmerzen.
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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2

    Stunden vergingen ereignislos, die Franzosen ließen sich Zeit mit dem Angriff. Da erteilte Henry V. den Befehl, seine Leute auf Schussweite vorrücken zu lassen. Eine riskante Entscheidung, die sein Heer sehr verletzlich machte. Doch er hatte das Glück, dass noch immer kein Angriff erfolgte. Langsam marschierte die englische Schlachtreihe über den Acker auf den Feind zu. Der Boden war weich und nass. Das Ackergetreide, das gerade erst aus dem Boden sprießte, machte die durchweichte Ackererde noch schlüpfriger. Leicht konnten die Soldaten darauf ausrutschen und hinfallen, für die Männer in den Rüstungen war das Marschieren Schwerstarbeit, die den Atem raubte. Für die Engländer war der Vormarsch eine Erlösung vom Warten. Endlich konnten sie was tun – und vor allem dem Gestank entgehen, den die Ausscheidungen der vielen Durchfallerkrankten verbreiteten. Es bleibt ein Rätsel, warum die Franzosen ihre Chance für den Kavallerieangriff nicht ergriffen, erkannt haben müssen sie die erfahrenen Militärführer auf jeden Fall. Doch sie ließen geschehen, dass die englischen Bogenschützen aufs Neue ihre Pflöcke einschlugen und hinter ihnen in Deckung gehen konnten. Dann war es soweit, die Heere standen nur noch 250 Meter weit auseinander, nah genug für die englischen Bogenschützen. Mit einem gewaltigen Rauschen verließ die erste Pfeilwolke ihre Schlachtreihe und raste in einer hohen Parabel auf die Feinde zu. Sie konnte die dicht gedrängte Formation der vorderen französischen Divisionen nicht verfehlen. Mit ohrenbetäubendem Klappern schlugen tausende Pfeile in die Reihen der Franzosen. Viel Schaden verursachten die Pfeile nicht. Sie waren auf äußerste Reichweite geschossen und glitten meist an den Panzerplatten der Männer ab. Nur wer Pech hatte, traf ein Pfeil durch das offene Visier ins Gesicht. Die Pferde waren schlechter dran, sie waren meist nur an Kopf und Brust geschützt. Die getroffenen Pferde scheuten, warfen sich wild herum oder stiegen auf die Hinterhand. Reiter kämpften darum, im Sattel zu bleiben, einige wurden abgeworfen.



    Die eröffnenden Salven erzielten genau den erwünschten Effekt. Die französischen Ritter konnten der Provokation nicht widerstehen. Ihre Disziplin reichte nicht, um sie an ihrem Platz zu halten. Die Befehle ihrer Kommandanten verhallten ungehört. Vom Standpunkt des englischen Heeres aus gesehen, schien eine silberne Welle über die Köpfe der französischen Ritter zu spülen, als diese ihre Lanzen zum Angriff senkten. Die Reiter gaben ihren ihren Pferden die Sporen und trieben sie zum Angriff an. Mehrere hundert von ihnen trugen die Attacke vor, ein Anblick wie dieser hatte zuvor schon oft das gegnerische Fußvolk vor Angst das Weite suchen lassen, so gefürchtet war der Schockangriff der schweren Kavallerie. Doch in Azincourt fehlte der Attacke jede Rasanz! Der Boden war viel zu weich. Die Pflüge der Bauern hatten ihn tief umgegraben, der monatelange Regen ihn durchtränkt. Zuletzt hatten die Pferdeknechte nächtens die Schlachtrösser auf und ab geführt, um sie warm zu halten. Ihre Hufe hatten den Ackerboden in Morast verwandelt. Nun gewann der Angriff keine Geschwindigkeit und blieb zu lange dem Beschuss der Langbögen ausgesetzt. Die Ritter waren dagegen gut gerüstet, die Pferde waren verwundbarer. Zu langsam und zu schwach ist der Angriff, als die Kavallerie die angespitzten Pfähle, mit denen sich die Engländer an den Flanken schützten, erreichte. Tapfer durchbrachen einige Ritter mit ihren Pferden die Barrieren, doch meist wurden sie dabei abgeworfen und blieben zu Füßen der Schützen liegen. Diese machten kurzen Prozess mit den Feinden. Die Fußtruppen hatten dank ihrer Defensive und ihrer Disziplin standgehalten. Ein weiteres Zeichen für den Niedergang der gepanzerten Reiter als Beherrscher des Schlachtfeldes.



    Während dieser Phase hatte sich die vordere Division der schweren französischen Fußtruppen in Marsch gesetzt, nun sahen sie sich mit den zurückweichenden Reitern konfrontiert. Die hatten auf dem Rückzug den Beschuss nun von hinten, wo sie nicht so gut gepanzert waren. Entsprechend eilig preschten sie auf ihre eigene Linie zu, wo die Menge nicht schnell genug eine Gasse für die panischen Rösser bilden konnte. Männer und Pferde rutschten aus, stürzten, wurden niedergetreten und blieben im Schlamm liegen. Es gab Tote und Verwundete, ganz so, als ob die Franzosen das Schicksal erlitten, das sie eigentlich den englischen Bogenschützen zugedacht hatten. Die Masse der Truppe konnte das aber nicht in Unordnung bringen, in zehn Reihen Tiefe marschierte der massive Block der französischen Infanterie weiter vorwärts. Aber was heißt Marschieren, es war ein Stapfen, der Boden war so schlammig geworden, dass die Männer nur unter größter Mühe überhaupt vorwärts kamen. Immerhin hatten sie eine Rüstung von dreißig Kilogramm Gewicht angelegt, und durch den Helm konnten sie nur schlecht Atem holen. Wer das Visier seines Helmes öffnete, um Luft holen zu können, war schlecht beraten: Ein Pfeil ins Gesicht konnte die Atempause schnell tödlich enden lassen. Denn jetzt konzentrierten die Langbogenschützen ihren Beschuss auf den kaum zu verfehlenden Block der herannahenden Gewappneten. Der permanente Pfeilhagel zwang die marschierenden Ritter, die Köpfe zu senken und sich beim Gehen vorzubeugen. Vor Anstrengung und Schwitzen begannen sie regelrecht zu dampfen.

    Der Vormarsch formierte sich in einer Keilform, mit drei Spitzen im Zentrum. Das war keiner taktischen Entscheidung geschuldet, es ergab sich aus der Aufstellung der Engländer. Jeder Franzose hatte es auf die größtmögliche Trophäe abgesehen, König Henry V. in der Mitte seiner Linie. Sein Standort war leicht erkennbar an seinem Leoparden- und Lilien-Banner, mit dem er über das Schlachtfeld hinweg signalisierte: Hier stehe ich und erhebe Anspruch auf die Krone Frankreichs. Wem es gelingen würde, Henry oder einen seiner hochrangigen Begleiter gefangen zu nehmen, würde viel Ruhm und ein enormes Lösegeld einstreichen. Solche Gegner tötete man nicht, es sei denn versehentlich in der Hitze des Gefechts. An den Flügeln dagegen standen lediglich die niederen Bogenschützen, die Hilfstruppen. Hier war für einen standesbewussten Ritter nichts zu holen. Also konzentrierte sich der Angriff auf das Zentrum und entsprechend hart war hier der Zusammenstoß der Gegner.



    Derart zusammengedrängt konnte sich die Übermacht der Angreifer nicht entfalten, im Gegenteil: Die französischen Kämpfer behinderten sich gegenseitig und boten ein leichtes Ziel für die Bogenschützen, die nun von den Flanken aus auf kurze Distanz in den massierten Haufen hinein feuern konnten. Als dann zahlreiche Tote und Verwundete im Schlamm lagen, stolperten die nachfolgenden Angreifer über sie und wurden im Gedränge von ihren Mitkämpfern in den Morast gedrückt, wo so mancher in seiner schweren Rüstung kläglich erstickte.

    Dort, wo sich englische und französische Ritter im Kampf Mann gegen Mann gegenüberstanden, tobte die Schlacht mit großer Härte. König Henry wurde mehrfach niedergeschlagen, stand wieder auf, kämpfte weiter und warf sich in das dichte Kampfgefühl. Seine Knappen neben ihn fielen reihenweise, dem König selber wurde durch einen Schwertstreich der Helm beschädigt, eine Lilie aus seiner goldenen Krone geschlagen. Viele französischen Ritter, auch hohe Adelige, gaben erschöpft den Kampf auf und ergaben sich einem Standesgenossen. Sie konnten darauf vertrauen, dass man ihnen wie bei einem Turnier Pardon gewährte, wenn sie als Zeichen der Aufgabe dem Sieger einen Handschuh überreichten. Sie wurden als Gefangene in den hinteren Bereich des Schlachtfeldes überführt, von wo aus sie nicht mehr in die Kämpfe eingreifen durften, das gebot der ritterliche Ehrenkodex.

    Die Führer der zweiten französischen Division erkannten, dass die Schlacht anders verlief als geplant. Sie konnten kaum glauben, dass es den achttausend Rittern der ersten Division nicht gelang, den zahlenmäßig unterlegenen Gegner, der in so schlechter körperlicher Verfassung angetreten war, zu besiegen. Es war ihre Chance, doch noch Ruhm und Reichtum zu erwerben, die Schlacht zu entscheiden und den Sieg zu erringen. Ihre Reihen machten sich nun ebenfalls auf den Weg durch den Schlamm, um sich mit dem Gegner zu messen. Für sie war der Morast noch mühsamer, doch sie mussten nicht mehr den Pfeilhagel der Engländer fürchten, weil den Bogenschützen die Munition ausging. So erreichten die Männer der zweiten Division die hinteren Reihen der ersten Gruppe und stürzten sich sofort in den Kampf – was die Situation der ermatteten Kämpfer weiter vorne noch weiter verschärfte. Reihenweise machten die Engländer nun Gefangene und das für unmöglich Gehaltene geschah. Ihrer Führungspersonen beraubt, zerfiel der Zusammenhalt des französischen Heeres, der Rückzug setzte ein. Der Nahkampf kam zum Ende, die Engländer hatten ihre Stellung wahrhaftig behauptet!



    Obwohl die Franzosen am Rande der Niederlage standen, hielt Henry V. sein Heer zusammen. Noch war die dritte Division der Gegner, die Nachhut, intakt. Alleine die Anzahl ihrer Kämpfer stellte immer noch eine Übermacht gegenüber dem englischen Heer dar. Henry erkannte, dass ein Gegenangriff trotz der verlockenden Gelegenheit viel zu riskant war. Also verbot der König, so gut er konnte, seinen Soldaten das Ausschwärmen zum Plündern der Toten. Die Vorsicht war begründet, in der Mittagszeit formierte sich die dritte Division der Franzosen tatsächlich zum Angriff und rückte vor. Die Bogenschützen der Engländer hatten in der Zwischenzeit einen Teil ihrer Pfeile eingesammelt und konnten wieder mit dem Beschuss beginnen. Der Kampf war kurz, dieser Angriff brach rasch zusammen. Trotzdem überraschte Henry V. der Kampfeslärm in seinem Rücken: Der Tross wurde angegriffen! Hinten, nicht weit vom englischen Lager entfernt, befanden sich tausende französische Gefangene, alle noch in voller Rüstung (nur ohne ihre rechten Handschuhe, die sie übergeben hatten). Überall lagen weggeworfene Waffen herum. Die Zahl der Gefangenen war weit größer als die ihrer Bewacher. Die Situation war gefährlich. Sollten die Gefangenen in die Schlacht eingreifen, wäre das kleine englische Heer verloren gewesen. Henry sah nur einen Ausweg: Er befahl, die Gefangenen zu töten.

    Es kam zu einem Tumult. Die englischen Ritter weigerten sich, Hand an die Gefangenen zu legen. Die Gefangenen brüllten durcheinander, versicherten ihren Bewachern, dass sie nichts gegen sie unternehmen würden. Die englischen Adeligen versuchten, ihren König von seinem Entschluss abzubringen. Doch Henry blieb hart und befahl zweihundert seiner Bogenschützen, die Tat auszuführen. Die warfen sich auf die Gefangenen und sortierten jene aus, die aufgrund ihrer Wappen als weniger wertvoll erschienen. Es entstand ein riesiges Durcheinander, englische Adelige stellten sich den Henkern entgegen, um ihre lukrativen Gefangenen zu schützen, diese liefen weg vom Schlachtfeld und den herumliegenden Waffen, um zu zeigen, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht. Die zweihundert Bogenschützen waren hartgesottene Krieger, die keine Veranlassung hatten, den Befehl ihres Königs zu missachten. Sie verfolgten die französischen Adeligen, ergriffen sie und töteten sie mit Axthieben und Messerstichen. Einer von ihnen war der Herzog von Brabant, dessen improvisierter Wappenrock ihn nicht als einen der reichsten Fürsten Europas auszuweisen vermochte.

    Als der englische König erkannte, dass der Angriff auf den Tross nur ein Überfall von Bauern war, der schnell abgeschlagen wurde, und das französische Hauptheer keinen weiteren Angriff mehr wagte, sondern sich im Gegenteil vom Schlachtfeld zurückzog, befahl er den Bogenschützen, das Massaker abzubrechen. Für einige hundert Adelige kam Henrys Erkennen seiner Fehleinschätzung zu spät. Für die Zeitgenossen war Henrys Verhalten ein Skandal – wenn auch nicht aufgrund des Mordbefehls an sich. Solche Massaker waren in Kriegszeiten an der Tagesordnung. Es war das akzeptierte Recht des Siegers, dem Unterlegenen das Leben zu nehmen. Das, was die Zeitgenossen störte, war die Tatsache, dass adelige Ritter getötet worden waren. Niemand hätte es auch nur der Erwähnung wert gefunden, wären einfache Soldaten abgeschlachtet worden. Von ihnen erwartete man, dass die in einer Schlacht getötet wurden. Ritter unterlagen einem eigenen Ehrenkodex, der sie über das einfache Volk erhob. Verlor ein Ritter sein Leben in einem fairen Kampf, gereichte das sowohl dem Getöteten als auch dem Sieger zur Ehre. Akzeptierte der Sieger das Aufgeben seines Gegners aber, ging dieser in die ehrenhafte Gefangenschaft. Und in dieser musste der Adelige seinem Stand entsprechend behandelt werden. Gefangene Ritter waren bei ihresgleichen daher gut aufgehoben. Solange sie ihr Versprechen hielten und nicht zu flüchten versuchten, konnten sie sich relativ frei bewegen. Das alles galt halt nicht für die einfachen Soldaten, die sowieso kein Lösegeld für ihre Freilassung aufbringen konnten.

    Die Bogenschützen, die das Töten der Geiseln ausführten, waren diesem Ehrenkodex nicht verpflichtet. Sie wussten, dass es im umgekehrten Fall für sie keine Gnade gegeben hätte. Unter den Männern waren viele, die den Feldzug mitgemacht hatten, um der Verfolgung für zivile Verbrechen zu entgehen, unter ihnen Mörder und Totschläger. Für sie war das Abschlachten unbewaffneter Adeliger viel weniger ein Problem als für die hohen Herren, in deren Gefolge sie sich befanden. Warum also einen Befehl des Königs missachten?

    Die Schlacht war geschlagen, die Engländer hatten das Feld behauptet. König Henry V. ging herum und sah nach seinen Männern (von denen nun viele ausschwärmten, um die Leichen auszuplündern), sprach mit ihnen und dankte für ihren Mut und ihre Treue. Englische und französische Herolde sammelten sich um den König und verkündeten: „Der Sieg ist Euer. Die Burg, die dicht hier steht, heißt Azincourt. So heiße dies die Schlacht von Azincourt, am Tag Crispinus-Krispians gefochten!“

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  6. #381
    Sie/Er/Whatever Avatar von Fimi
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    Zitat Zitat von Fonte Randa Beitrag anzeigen
    Manchmal kann ich Fimi verstehen...
    Zitat Zitat von Kaiserin Uschi Beitrag anzeigen
    Ja, aber das ist nur ein Grundgesetzbruch, aber kein Verfassungsbrauch. Bring das mal vors Bundesgrundgericht ;)

  7. #382
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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2

    Die Folgen dieser Schlacht waren gravierend. Das zahlenmäßig weit überlegene Heer der Franzosen war geschlagen, die Zahl der Toten ist unklar. Natürlich kursierten immense Zahlen über die Opfer, aber das dürfte Propaganda sein. Fakt ist, dass – zumindest laut einer Reportage von 2013 – das eigentliche Schlachtfeld noch nicht entdeckt worden ist, die Toten in der Erde noch nicht entdeckt worden sind. Lediglich nach Napoleons Niederlage bei Waterloo hat ein englischer General wohl erfolgreiche Ausgrabungen bei Azincourt durchführen lassen, unter den misstrauischen Augen der französischen Bevölkerung vor Ort übrigens. Doch seine Aufzeichnungen und Fundstücke sind im 19. Jahrhundert bei einem Brand in einem Londoner Magazin vernichtet worden. Die genaue Stätte dieser bedeutenden Schlacht harrt bis heute seiner Entdeckung. Wie auch immer, für Frankreich war Azincourt eine Katastrophe. Wieder war ein erheblicher Teil der adeligen Elite des Landes mit einem Schlag ums Leben gekommen, es gab kaum noch Erben für die Titel und Ländereien. Das verschärfte die Spaltung zwischen den französischen Bürgerkriegsparteien unter dem schwachen König Charles VI. noch einmal mehr. Frankreich lag am Boden. Die Engländer dagegen, die in Azincourt gesiegt hatten, konnten über Calais heimkehren und waren dort hoch geachtete Veteranen. Shakespeare ließ Henry V. über sie formulieren: „We few, we happy few, we band of brothers. For he today that sheds his blood with me, shall be my brother.“



    England bejubelte seinen siegreichen König, als er heimkehrte, aber Henry V. ruhte sich nicht lange auf seinen Lorbeeren aus. 1417 kehrte er in die Normandie zurück, die er in den beiden folgenden Jahren komplett eroberte. Das war ein hartes Stück Arbeit, denn er wollte nicht, dass seine Truppen das Land ausplünderten. Henry wollte vielmehr, dass die Normannen ihn als ihren rechtmäßigen König anerkannten. Also belagerte er mühsam Stadt um Stadt, Burg um Burg, bis eine nach der anderen fiel. Unterdessen verhandelte sein Onkel Beaufort von Winchester mit Burgund und den Vertretern des Königs von Frankreich. Das war alles andere als einfach, den Charles VI. war ja regierungsunfähig. Zeitweise ging sein Wahn so weit, dass er überzeugt war, sein Körper sei aus zerbrechlichem Glas, das niemand berühren dürfe. Der Dauphin, der französische Thronfolger, musste die Verhandlungen übernehmen, mit ihm konkurrierte vor allem der Herzog von Burgund um Einfluss. Um diesen Zwiespalt zu kitten und vielleicht mit einer Stimme gegenüber den Engländern aufzutreten, trafen sich der Dauphin und der Herzog am 10. September 1419 auf einer Brücke bei Montereau. Ehe irgendwer die Verhandlungen eröffnen konnte, hob einer der Männer des Dauphin die Streitaxt und spaltete dem Burgunder den Schädel. Damit hatten die Verhandlungen sich erledigt. Man erkennt allmählich, warum Burgund in EU4 als eigenständiges Land, und nicht als Teil von Frankreich, startet.



    Der Sohn und Erbe des erschlagenen Herzogs war zutiefst erbittert über diesen feigen Mordanschlag auf seinen Vater. Allein konnte er ihn nicht rächen, und weil es sonst niemanden gab, an den er sich wenden konnte, bat er Henry V. um Hilfe gegen den Dauphin.

    Selbst die französische Königin sagte sich von ihrem Sohn Charles los und enterbte ihn, der König wurde eh nicht gefragt. So kam es, dass Burgund und die Königin im Jahre 1420 mit Henry V. den Vertrag von Troyes schlossen: Der Dauphin sollte enterbt werden, König Henry sollte dessen Schwester Katherine heiraten. Der kranke Charles VI. sollte dem Titel nach bis an sein Lebensende König von Frankreich bleiben, aber Henry erst sein Regent, dann sein Nachfolger werden, die Krone an seine und Katherines Nachkommen übergehen. „Bei Tod des Monarchen: Frankreich in einer Personalunion unter England.“ Das war der Sieg für England im Hundertjährigen Krieg, es war das erreicht, wofür dieser Krieg begonnen worden war!



    Es bestand nur noch das kleine Problem, dass der Dauphin von all diesen Plänen auf seine Kosten nicht sonderlich begeistert war, und südlich der Loire hatte er die Macht. Henry V. war entschlossen, sie ihm zu entreißen. Der Dauphin wies zurück, dass seine Mutter oder der Herzog zum Abschluss des Vertrags von Troyes berechtigt gewesen waren. Ja, die beiden hatten eine Vollmacht durch den französischen König erhalten, aber der war geistig umnachtet. Und außerdem: Woher hatte Henry V. auf einmal die angebliche Legitimation, die französische Krone zu erhalten? Aus welchen Ansprüchen beziehungsweise Legitimationen heraus diese Machtübertragung zustande kam, wurde in dem Vertragswerk nämlich gar nicht aufgeführt. Der Vertrag bezeichnete Henry als „Erbe Frankreichs“. Wie er aber zum Erben Frankreichs geworden war, wurde nicht erwähnt. Eine Möglichkeit könnte die Anerkennung des seit Edward III. bestehenden Anspruches auf die französische Krone gewesen sein. Dem widerspricht aber, dass Henry im Vertrag selbst explizit auf seinen Titel als König von Frankreich verzichtete und damit implizit die Unrechtmäßigkeit ebendieses Anspruches zugab. Gleichzeitig mit dem Verzicht Henrys auf diesen Titel wurde Charles VI. als König von Frankreich durch Gottes Gnade bezeichnet und somit sein Anspruch auf die Krone verstärkt.



    Als zweite Möglichkeit für Henrys Bezeichnung als Erbe könnte eine Adoption (im römischen Stil) durch Charles VI. angesehen werden. Solch eine Adoption ist aber nicht nachgewiesen, was diese Variante sehr unwahrscheinlich macht. Eine häufig genannte, aber gänzlich abwegige Theorie sagt, dass Henry V. durch seine Heirat mit Katherine, der Tochter Charles VI., zum Erbe wurde. Frauen waren, wie bereits erwähnt, gemäß dem salischen Recht von der Thronfolge beziehungsweise als Übermittler des Thronanspruches ausgeschlossen. Die Hochzeit geschah also, wie auch in dem Vertrag von Troyes erwähnt, nur „zum Wohle des besagten Friedens“. Um dies zu unterstreichen, fand die Trauung auch erst mit einem zeitlichen Abstand von zwei Wochen nach dem Vertragsschluss statt. Bis heute lässt sich nicht sagen, was nun genau den Ausschlag gegeben hatte, dass Henry V. als Erbe Frankreichs angesehen wurde und somit Anspruch auf die Krone erheben konnte. Möglicherweise gab es auch vor dem Vertrag gar keine Legitimation für seinen Thronanspruch. In diesem Fall würde alleine der Vertrag die Legitimation für Henry darstellen.



    Erst einmal heirateten er und Katherine also am 2. Juni 1420 in der Kathedrale von Troyes, und am 1. Dezember zog der König mit seiner französischen Gemahlin im Triumph als Regent von Frankreich in Paris ein. Er hatte sein ehrgeiziges Ziel erreicht. Doch im Frühjahr 1421 zeigte der Dauphin, dass mit ihm noch zu rechnen war: In einem Gefecht besiegte er das Heer von Henrys Bruder Thomas und tötete diesen. Für den erfolgsverwöhnten Henry war das ein schwerer Schock, Thomas hatte ihm persönlich nahegestanden. Für den König war nun klar, dass er sich selber um den Dauphin kümmern musste. Im Sommer 1421 kehrte er mit seinem Heer nach Frankreich zurück. Er sollte England nicht wiedersehen.

    Während Henry das stark befestigte Meaux belagerte und einen zermürbenden Winter im Feld verbrachte, gebar die Königin am Nikolaustag in Windsor einen Sohn, der auf den Namen Henry getauft wurde. Diesem Knabe war es bestimmt, eines Tages der Erbe der Kronen von England und Frankreich zu sein. Meaux fiel Anfang Mai 1422 und viele glaubten, dies sei der Durchbruch. Aber schon im Winter war König Henry krank geworden, vermutlich hatte er sich mit der Ruhr infiziert und sich keine Ruhe gegönnt, um sich auszukurieren. Auf dem Ritt nach Cosne Ende Juli fiel er bewusstlos vom Pferd. In einer Sänfte brachten seine Lords ihn nach Vincennes, wo er am 31. August 1422 mit 35 Jahren starb, ohne seinen Sohn ein einziges Mal gesehen zu haben. „Er war zu ruhmreich, um lange zu leben“, soll sein Bruder John am Totenbett gesagt haben.
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  8. #383
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    Daher kommt es also dass in EU4 immer die guten Könige und Nachfolger früh sterben und die Verrückten ewig leben
    ex flammis orior

  9. #384
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    Oh ja, ich habe ja kaum eine Errungenschaft freigeschaltet, aber die habe ich.

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  10. #385
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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2



    Henry VI. und Charles VII. (beide 1422-1461)

    England trauerte um seinen Heldenkönig, aber das war nicht der einzige Grund zum Wehklagen. Das Land befand sich im Krieg, steckte wie üblich in bösen finanziellen Schwierigkeiten, und der Thronfolger war ganze neun Monate alt. Zweimal war es seit der normannischen Eroberung bislang vorgekommen, dass ein Kind auf den Thron gekommen war. Beide Male war es halbwegs gelungen, die Stabilität mit einem handlungsfähigen Thronrat zu wahren, aber Henry III. war neun Jahre alt gewesen, Richard II. elf Jahre. Ein König in Windeln war eine Katastrophe. Zumal sechs Wochen nach Henry V. auch der umnachtete Charles VI. von Frankreich starb, so dass nun zwei Kronen auf den winzigen Säuglingskopf warteten.



    Ich habe mir beim Schreiben dieser Zeilen die Frage gestellt, was eigentlich geschehen wäre, wenn Katherine eine Tochter geboren hätte. In England galt ja die agnatisch-kognatische Nachfolge, in Frankreich nach dem Salischen Recht die rein agnatische. Die Tochter wäre Königin von England geworden, aber was wäre dann mit der Krone von Frankreich geschehen? In Wikipedia habe ich nachgeschaut: Der Vertrag von Troyes betonte, dass es sich bei den Kronen von England und Frankreich weiterhin um zwei verschiedene handeln solle. Ob das eine Land das Erbrecht des anderen übernehmen sollte oder beide bisherigen Gesetze parallel fortbestehen sollten, ließ der Vertrag - zu meinem Erstaunen - offen. Diese Frage musste in der Realität nie erörtert werden, da Henry einen Sohn hinterließ. Damit sind übrigens die beiden Protagonisten des EU4-Startjahres 1444 auf der Bühne: Bei dem französischen Dauphin handelte es sich nämlich um den späteren König Charles VII. von Frankreich, der kleine Säugling bestieg später als Henry VI. den englischen Thron.

    König Henry hatte mindestens einen Monat lang gewusst, dass er sterben würde. Reichlich Zeit also, um seine Angelegenheiten zu regeln. Seinem Onkel Bischof Beaufort und seinem Freund Graf Richard von Warwick übertrug er die Vormundschaft für seinen Sohn. Seinen Bruder John von Bedford setzte er bis zur Mündigkeit des kleinen Königs als Regenten in Frankreich ein und verpflichtete ihn, den zähen Krieg gegen den Dauphin weiterzuführen. Seinem letzten verbliebenen Bruder Humphrey von Gloucester übertrug er die Regentschaft über England, die Humphrey als Lord Protektor stellvertretend für seinen kleinen Neffen und in Abstimmung mit dem Kronrat verwalten sollte.



    Das war alles gut gemeint, aber es funktionierte vorne und hinten nicht. John machte seine Sache in Frankreich hervorragend, hielt das Bündnis mit dem Herzog von Burgund (dessen Schwester er geheiratet hatte) und nahm dem französischen Adel den Lehnseid ab, aber realistisch betrachtet hatte er keine echte Chance, die Macht des Dauphin südlich der Loire zu brechen. Das war wohl nie mehr als ein schöner Traum gewesen, aber solange der Erfolg gesegnete Henry V. noch lebte, hatte das niemanden sonderlich besorgt.

    Für den Dauphin war die Situation allerdings auch nicht lustig. Ja, er beherrschte den Süden von Frankreich. In Paris und in Burgund jedoch erkannte man den kleinen Henry VI. als König von England und Frankreich an. Charles hingegen wurde als Enterbter der Valois von ihnen bekämpft. Natürlich beanspruchte der Dauphin die französische Thronfolge für sich, persönlich hatte er aber nicht viel mit der Kriegsführung oder auch nur dem standesgemäßen Jagen am Hut. Charles VII. interessierte sich für Kunst, rauschende Feste und Mätressen. Vorerst aber hielten all jene französischen Adeligen zu ihm, die sich mit einem Engländer als ihren König nicht abfinden wollten. Wer den Vertrag von Troyes nicht anerkennen wollte, der musste es mit Charles VII. halten, es gab keinen anderen legitimen Thronfolger.



    Die eigentlichen Probleme der englischen Partei aber lagen in England. Herzog Humphrey war ein eitler, machtgieriger und verantwortungsloser Lump, der von Anfang an versuchte, den Kronrat auszubooten und allein zu regieren. Sein Onkel Beaufort, der ihn aus tiefster Seele verabscheute, wusste das zu verhindern, aber bald drohte England im Streit zwischen Herzog und Bischof ins Chaos zu sinken. Um Humphreys Protektorat schnell ein Ende zu bereiten, wurde der kleine König am 5. November 1429 zu Henry VI. von England gekrönt.

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  11. #386
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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2

    Obwohl er nicht einmal acht Jahre alt war, ahnte er wohl, was ihm blühte, denn er schaute sich „kummervoll und wehmütig um“, wie ein Chronist notierte, während sein Großonkel Beaufort (inzwischen zum Kardinal befördert) ihm die viel zu große Krone aufs Haupt setzte. Humphrey von Gloucester büßte durch die Krönung einiges von seinem Einfluss ein, das war der Zweck der Veranstaltung gewesen. Gloucester zog einen reichen und mächtigen – und gefährlichen – Mann auf seine Seite: Herzog Richard von York. Dieser Richard von York war übrigens ein Neffe des kinderlos verstorbenen Edmund, jenem Thronprätendenten, der sich seinerzeit willig unter die Herrschaft von Henry V. gefügt hatte. Richard war also nicht nur mächtig, er hatte auch einen Thronanspruch (siehe rot umrandet links im folgenden Bild).

    Während der kleine König Henry VI. unter der Last seiner Krone fast zusammenbrach und seine Onkel um die Macht stritten, hatte sich seine Mutter Katherine heimlich einen Liebhaber genommen, den Waliser Owain ap Meredydd, der aufgrund eines urkundlichen Schreibfehlers als Owen Tudor bekannt wurde (siehe rot umrandet mittig im folgenden Bild). Dieser Owen Tudor hatte wahrscheinlich in Azincourt gekämpft und war in den Haushalt der Königin versetzt worden. Die Liebschaft war brisant, wenn eine Königinwitwe wieder heiratete, war das eine politische Angelegenheit. Darum hatte der Kronrat eine erneute Heirat grundsätzlich untersagt. Der Ehe mit einem Niemand aus Wales hätte er sowieso nicht zugestimmt. Also zog sich Katherine vom königlichen Hof zurück, damit sie und Tudor nicht aufflogen, und der kleine König stand ohne mütterlichen Zuspruch alleine zwischen seinen zankenden Onkeln (siehe Regentschaftsrat im folgenden Bild).



    Es sollte aber noch schlimmer für ihn kommen. Der Hader in England verschaffte Charles VII. zunächst einmal eine wichtige Atempause, um sich südlich der Loire zu behaupten und zu konsolidieren. Er hatte aber keine Idee, wie er die mit Burgund verbündeten Engländer aus Frankreich vertreiben sollte. Spötter nannten Charles bereits den „König von Bourges“, weil er meistens hier residierte. Zwischenzeitliche Annäherungen an Burgund und die Bretagne zerschlugen sich wieder. Charles VII. demonstrierte seine Skrupellosigkeit, indem er sich je nach politischer Wetterlage ohne Bedenken von seinen Beratern trennte. Die französischen Adeligen dachten allmählich darüber nach, Charles ins Exil zu schicken, zu schwierig wurde die Lage.



    Denn seit 1428 machten sich die Engländer wieder daran, ernsthaft eine militärische Entscheidung in Frankreich herbeizuführen. Sie begannen mit der Belagerung von Orleans, die Stadt war ein strategisch wichtiger Punkt auf dem Weg nach Süden. Die Sache lief gut für die Engländer, die Belagerten waren im Frühjahr 1429 bereit, ihre Stadttore zu öffnen. Allerdings wollten sie Orleans lediglich an den Burgunder Philippe dem Guten zu übergeben, nicht an die Engländer. Das Angebot wurde abgelehnt, die Engländer wollten noch ein wenig warten, bis Orleans ihnen wie eine reife Frucht in die Hände fallen würde. Eine Frage der Zeit, und Charles VII. schien erledigt.



    Im März 1429 aber wurde Charles eine sonderbare junge Frau vorgestellt. Das Empfehlungsschreiben eines Stadtkommandanten hatte die Audienz des Bauernmädchens Jeanne beim König möglich gemacht. Diese Jeanne behauptete, im Namen des Himmels gekommen zu sein, um Frankreich zu befreien und dass Charles in Reims zum König von Frankreich gekrönt werden würde. Niemand weiß genau, wie Jeanne ihn überzeugte. Es ist nur bekannt, dass sie sich mit ihm in ein Zimmer zurückzog und ihn angeblich an einer ihrer Visionen teilhaben ließ. In Poitiers ließ Charles diese Jeanne drei Wochen lang von Geistlichen und hochgestellten Persönlichkeiten auf ihre Glaubwürdigkeit prüfen und ihre Jungfräulichkeit von Hofdamen untersuchen. Nach erfolgreichem Bestehen beider Prüfungen beschloss der Kronrat, ihr eine Rüstung anfertigen zu lassen, und stellte ihr eine kleine militärische Einheit zur Seite.


    Ich habe gerade kein eigenes Bild zur Hand, auf dem in Crusader Kings 2 die Ereigniskette der geheimnisvollen Jungfrau zu sehen ist. Manchmal bekommt man sie angeboten und kann ihr eine Heerführung übertragen. Das gibt bei den übrigen Fürsten zwar einen Meinungsabzug, aber gewöhnlich lohnt der Kommando-Wert der Jungfrau diesen Malus.

    Ihr erster Auftrag war es, einen Proviantzug nach Orleans durchzubringen. Am 29. April kam ihr Zug in der eingeschlossenen Stadt an. Die Truppen in Orleans wurden von dem Erfolg motiviert und ließen sich überzeugen, einen Ausfall zu wagen. Am 7. Mai ritt Jeanne vorneweg. Von einem Pfeil getroffen und vom Pferd geworfen, blieb sie dennoch auf dem Feld. Das beeindruckte ihre Mitkämpfer und steigerte die Kampfbereitschaft des Heeres. Die Engländer reagierten ungläubig. Ein 17jähriges Bauernmädchen in Männerkleidern zerschlug mit einer kleinen Truppe den Belagerungsring um die Stadt!

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  12. #387
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    Der Hundertjährige Krieg Teil 2

    Völlig verdattert musste der Herzog von Bedford mit seinen Kämpfern abziehen und das eben erst besetzte Gebiet südlich der Loire preisgeben. Jeanne fing an, nach und nach zurückzuerobern, was Bedford so mühevoll eingenommen hatte.



    Und schließlich führte sie Charles nach Reims, wo er zu Charles VII. von Frankreich gekrönt wurde. Frankreich staunte und jubelte. Jeanne staunte überhaupt nicht, denn sie tat nur, was ihr die Stimmen der Heiligen auftrugen, die sie täglich hörte und die ihr immer genau sagten, was als Nächstes passieren würde. In England war man fassungslos, und spätestens bei der Krönung in Reims zutiefst erschrocken. Die französische Krone sollte doch laut Vertrag von Troyes an die Könige von England übergehen! Also brach Kardinal Beaufort im Mai 1430 mit dem kleinen König und einem großen Gefolge nach Frankreich auf, um die Sache zu bereinigen. Auch im französischen Adel hatte Jeanne nicht nur Freunde, man neidete dem emporgekommenen Bauernmädchen seinen Einfluss auf Charles. Der Stern von Jeanne sank nach einem Jahr sensationeller Erfolge, als sie ihre Prophezeiung, das stark befestigte Paris einzunehmen, nicht halten konnte. Durch Verrat wurde sie im selben Mai 1430 festgenommen und den Burgundern ausgeliefert. Die Engländer beschlossen, Jeanne den Burgundern abzukaufen. Immerhin hatte das Mädchen um ein Haar Paris eingenommen und vor allem hatte sie Frankreich einen König zurückgegeben und zumindest teilweise hinter ihm geeint.



    Ende 1430 wurde Jeanne für 10.000 Franken an John Bedford verkauft, der sie der katholischen Gerichtsbarkeit in Rouen übergab. Sie wurde der Ketzerei und Hexerei angeklagt, an dieser Stelle war Jeanne angreifbar. Sie brüstete sich ja ständig damit, in Gottes Auftrag zu handeln und von Heiligen geführt zu werden. Eine Ketzerin, der Charles VII. sein Gehör und sein Vertrauen geschenkt hatte, die ihn auf den Thron gebracht hatte – was für ein Skandal. Die Engländer hofften, dass sich der französische Adel und Klerus von Charles abwenden und Henry VI. zuwenden würden. Also veranstalteten sie einen abgekarteten Prozess, vor dem sie Jeanne ein Jahr lang mit Haft, Verhören und Folter mürbe machten. Sie gestand ihre Verbrechen und ließ sich dazu verleiten, es anschließend zu widerrufen. Ein rechtlicher Schachzug: Ein zuvor reuiger Ketzer galt in diesem Fall als ein verstockter Ketzer – und das wurde mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen bestraft. Die Hinrichtung ereignete sich am 30.Mai 1431 auf dem Marktplatz von Rouen. Als es vorüber war, schickte Kardinal Beaufort seine Männer aus, die Asche einzusammeln und in die Seine zu streuen, auf dass nichts von der Jungfrau übrig bliebe, worauf man einen Heiligenkult hätte begründen können.



    Die Erwartung, Jeanne würde nun vergessen werden, war schon praktisch am am Tag ihrer Hinrichtung hinfällig. Der befürchtete Heiligenkult um sie setzte sofort ein und der gewünschte politische Effekt stellte sich nicht ein. Die Zeiten hatten sich geändert: England hatte seine Kräfte überdehnt, in Frankreich hatte sich ein neuartiges Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit im Widerstand gegen die Besatzer gebildet. Es war stattdessen der Mord an Herzog Johann, der langsam an Bedeutung verlor und eine Annäherung zwischen Frankreich und Burgund möglich machte. Ende 1431 gelang es Charles, mit Philippe einen Waffenstillstand zu schließen, Burgund stieg erst einmal aus dem Krieg aus. In London bewilligte das Parlament John von Bedfort keine weiteren Steuern, mit dem Argument, der Krieg müsse ja wohl mit den Einkünften aus den eroberten Gebieten zu bezahlen sein. Da die aber großteils verwüstet waren, war das nicht der Fall. Es gab auch nicht die Mittel, Burgund mit Geld zum Verbleib in dem Bündnis mit England zu bewegen. So war es keine Überraschung, dass Philippe nicht in Paris erschien, als Beaufort dem jungen Henry VI. am 16. Dezember 1431 in der Kathedrale von Notre Dame seine Zweitkrone auf das Haupt setzte. Das war mehr als nur ein schlechtes Zeichen, es war der Anfang vom Ende.

    Erleichtert kehrte der verängstigte König nach England zurück und harrte der weiteren Entwicklungen. Die Initiative lag nun bei seinem Konkurrenten Charles. Im Jahre 1435 kam es durch Vermittlung des Papstes in Arras zu einer Friedenskonferenz, die den Krieg zwei Jahre vor seinem hundertsten Geburtstag ein für alle Mal beenden sollte. Doch die Gegensätze waren unüberbrückbar. Aus englischer Sicht war die Konferenz ein totaler Fehlschlag, aus französischer Sicht ein Triumph: Charles VII. schloss Frieden mit dem Herzog von Burgund. England hatte seinen wichtigsten Verbündeten auf dem Kontinent verloren. Und dann starb mit dem Herzog von Bedford auch noch der fähigste Kommandant der Engländer.

    Humphrey von Gloucester und Richard von York sahen ihre Zeit gekommen. Sie waren überzeugt, man müsse sich nur mehr Mühe geben, noch etwas mehr Blut vergießen, um das Ruder wieder herumzureißen. Kardinal Beaufort und seine Anhänger hingegen befanden, es sei an der Zeit, Frieden zu schließen, aber ihr Hass auf ihre innenpolitischen Widersacher trieb sie zu einer unklugen, niederträchtigen Politik. 1437 - in dem Jahr, in dem Charles VII. in Paris einmarschieren konnte - erklärte der englische Kronrat den 14jährigen König für mündig, und Henry schickte sich an, zwischen den Streithähnen zu vermitteln. Aber dafür war er nicht gestrickt. Henry VI. war leicht zu beeinflussen und glaubte immer demjenigen, der gerade vor ihm stand und seine Argumente vortrug. Henry, das merkten seine Untertanen bald, war ein schwacher Charakter, seht Euch seine 0-0-0-Werte an. Die einzige Eigenschaft, die er besaß, war seine große Frömmigkeit. Aber damit ließen sich die brisanten innen- und außenpolitischen Probleme nicht lösen.

    Den Franzosen blieb nicht verborgen, dass mit Henry VI. keine Löwe, sondern ein Lämmchen auf dem Thron saß. Charles VII. setzte nach und nach seine Rückeroberungen in Frankreich fort und eroberte bis 1442 Meaux, die Ile-de-France und Toulouse. Im Mai 1444 heiratete Henry VI. Margarete d'Anjou (diese Dynastie bekommt man hin und wieder, wenn man mit England eine EU4-Partie gestartet hat), eine Nichte des französischen Königs, was eigentlich mit einem Waffenstillstand einhergehen sollte. In einem geheimen Zusatzvertrag hatte Henry VI. seinem Onkel Charles sogar die Grafschaft Maine versprochen, um endlich Frieden zu haben. Aber der war wie alle Franzosen die englische Besatzung so satt, dass sie sich dauerhaft an keine Abkommen mehr halten wollten.



    Und das ist die Situation im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich, wenn man eine Partie EU4 mit dem Datum des 11. November 1444 beginnt.

    Literatur:
    Gable: Von Ratlosen und Löwenherzen
    Berg: Die Anjou-Plantagenet
    Baier: Die Schlacht bei Azincourt
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  13. #388
    Ewig unbezähmbar! Avatar von LegatBashir
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    Jetzt weiß ich endlich was das für ein König war, der einem den Starti n England so versauert. Ich hasse es mit England und eben diesem König anzufangen. Mit 0-0-0 bist du da echt der Depp! Insbesondere, wenn du alles in den Krieg mit Frankreich wirfst und dir dann die Heimat mit den Rosenkriegen zerbricht. Da gehörst du mal echt der Katz!
    ex flammis orior

  14. #389
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    Das Startdatum 11. November 1444

    Jetzt beginnt das sechste Kapitel "Das Zeitalter der Entdeckungen" und wir kommen endgültig bei Europa Universalis 4 an, im Jahre 1444.
    Achtung Spoiler:

    1. Frühmittelalter
    Karl der Große
    1. Wie man einen König macht
    2. Bruderzwist
    3. De bello saxonici
    4. Eine Schlappe wird zum Heldenlied
    5. Die Krönung zum Kaiser
    6. Die Nachfolgeregelung
    Das byzantinische Kaiserreich
    1. Konstantin V. (769-780)
    2. Leo IV. (780-797)
    3. Romylia (797-801)
    4. Konstantin VI. (801-810)

    2. Das Zeitalter der Wikinger
    Alfred der Große
    1. Ethelred (867-884)
    2. Alfred (884-918)
    Die ersten deutschen Könige
    1. Prolog: Was geschah von 814 bis 867?
    2. Ludwig der Deutsche (840-873)
    3. Karlmann von Baiern (873-886)
    4. Arnulf von Kärnten (886-898)
    5. Ludwig III. (898-937)
    6. Heinrich I. (937-968)
    7. Hundert Jahre: Von Otto II. zu Heinrich IV.

    3. Das Hochmittelalter
    Wilhelm der Eroberer
    1. Vorgeschichte
    2. Der Herzog in seinem Herzogtum – Williams Herkunft
    3. Die Normandie und England
    4. Der König und sein Königreich – Wilhelmus Rex
    5. Williams letzte Jahre – die liebe Familie
    Heinrich IV.
    1. Wehe dem Lande, dessen König ein Kind ist!
    2. De bello saxonico
    3. Der unheimliche Mönch
    4. Der Gegenkönig
    5. Reges geminati, papae geminati
    6. Deus lo vult!
    7. Heinrichs letztes Gefecht
    Der Erste Kreuzzug
    1. Prolog – über das Leben Philipps I. von Frankreich
    2. Der byzantinische Hilferuf
    3. Der Zug durch das byzantinische Reich
    4. Im Heiligen Land
    Duell: Heinrich der Löwe und Barbarossa
    1. Vorgeschichte der Welfen und Staufer
    2. Die Zeit unter dem Salier Heinrich V. (1104-1125)
    3. Die Staufer werden um die Krone gebracht - Lothar III. (1125-1137)
    4. Der erste Staufer auf dem Thron - Konrad III. (1137-1152)
    5. Duell: Friedrich I. Barbarossa (1152-1190)
    1. Heinrich der Löwe verzichtet auf die Königskrone
    2. Heinrichs Kämpfe gegen die Wenden
    3. Krieg in Italien, Ärger in Sachsen
    4. Heinrichs Pilgerfahrt
    5. Die Unterredung von Chiavenna
    6. Der Prozess gegen den Löwen
    7. Nach dem Sturz
    6. Das letzte Aufbäumen des Löwen - Heinrich VI. (1190-1197)
    Duell: Saladin und Richard Löwenherz
    1. Saladin in Ägypten
    2. Königreich der Himmel
    3. Der Dritte Kreuzzug
    4. Die Plantagenet: Richards Herkunft
    5. König Richard auf dem Weg ins Heilige Land
    6. Richard Löwenherz im Heiligen Land
    Zwischenkapitel: Die Wehen der neuen Epoche
    1. Die glühende Krone
    2. Better to reign in hell, than serve in heaven
    3. Ein Ausbund an Verderbtheit und das Werk der Hölle
    4. Deutschland: Philipp von Schwaben gegen Otto IV.

    4. Mongolensturm
    Friedrich II.
    1. Noch einmal Staufer gegen Welfen
    2. Friedrichs ganz eigener Kreuzzug
    3. Messias oder Antichrist
    4. Der Untergang der Staufer
    Edward I.
    1. Prinz Edward
    2. König Edward
    3. Hammer der Schotten
    Drei Familien: Habsburg - Rudolf I.
    1. Bescheidene Herkunft
    2. Das Interregnum
    3. Königswahl
    4. Marsch auf Wien
    5. Der Zweikampf
    6. Hausmacht
    7. Adolf von Nassau
    8. Albrecht I.
    Drei Familien: Wittelsbach – Ludwig IV.
    1. Die Wittelsbacher
    2. Heinrich VII. von Luxemburg
    3. Alighieri Dante
    4. Doppelpack: Ludwig von Wittelsbach und Friedrich von Habsburg
    5. Der Papst wird ausgesperrt

    5. Spätmittelalter
    Drei Familien: Luxemburg – Karl IV.
    1. Der Kronprinz
    2. Der Gegenkönig
    3. Der Schwarze Tod
    4. Die Goldene Bulle
    Der Hundertjährige Krieg, Teil 1 – Edward III.
    1. Der Vater: Edward II.
    2. Familienangelegenheiten
    3. Die Schlacht von Crecy
    4. Der Schwarze Tod
    5. Die Schlacht von Poitiers
    6. Ein König in Ketten
    Das Konzil – Sigismund
    1. Sigismund sucht sich einen Thron
    2. Die Reform an Haupt und Gliedern
    Der Hundertjährige Krieg, Teil 2
    1. Richard II.
    2. Henry IV.
    3. Henry V. und Charles VI.
    4. Henry VI. und Charles VII.




    6. Das Zeitalter der Entdeckungen
    1. Das Startdatum 11. November 1444
    2. Das Osmanische Reich – Stadt der weltlichen Begierde
    3. Portugal – Jenseits des Kap Bojador
    4. Walachei – Der kleine Drachen
    5. England – Die Rosenkriege
    6. Heiliges Römisches Reich – Die Reichserzschlafmütze
    7. Frankreich – Die universelle Spinne
    8. Kastilien – Die iberische Hochzeit
    9. Kirchenstaat – Der unheimliche Papst

    Ich habe mir einen ausführlichen Rundumblick für diesen Zeitraum ab 1444 vorgenommen... immerhin beginnen hier quasi alle EU4-Partien.




    Das Startdatum 11. November 1444

    Jeder Spieler von Europa Universalis 4 kennt dieses Datum, den 11. November 1444, denn es ist das Startdatum der Partie. Warum hatte sich Paradox für diesen Tag entschieden, war da etwas Besonderes geschehen? Es gibt ein Ereignis, das der Ausgangspunkt ist, und zwar am Vortag, den 10. November: Die Schlacht von Varna zwischen dem christlichen Heer der Polen und Ungarn gegen das Heer der Osmanen. Es war eine Art letzter Kreuzzug, um Konstantinopel zu stabilisieren, die ungarische Grenze zu sichern, und um vielleicht doch noch Jerusalem zu befreien. Eines Tages zumindest. Doch der Sieg der Türken besiegelte das Ende der Kreuzzüge, das Ende des byzantinischen Konstantinopels – und öffnete dem Osmanischen Reich den Weg auf den Balkan.

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  15. #390
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    Oh wie schön, da kommt ja dann auch Vlad III. Tepes Dracul

    Ein Meister der Force de frap! Wenn nicht gar DER Meister!

    Da bin ich schon gespannt wie du als neutraler Erzähler das darstellst
    ex flammis orior

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