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Thema: [CK2/EU4] Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt

  1. #346
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    Der Hundertjährige Krieg, Teil 1

    Es war am übernächsten Tag, da Edward III. eine Messe zum Dank für den großen Sieg lesen ließ und seinen Sohn stolz in die Arme nahm. Der Folgetag der Schlacht hatte noch dem Niedermachen der versprengten Reste des französischen Heeres gegolten, dabei waren noch einmal tausende von französischen Fußsoldaten getötet worden, mehr noch als in der eigentlichen Schlacht. Wie viele Tote es unter den Franzosen gegeben hatte, konnte man nicht mehr zählen. Nur die Leichen der über 1.500 Vornehmen, die ein Wappen trugen, wurden identifiziert und begraben. Die Engländer hatten dagegen nur geringe Verluste, einige Hundert. Zwischen den Massen von Toten auf dem Hang entdeckten die königlichen Beamten auch den Leichnam Johanns von Böhmen, neben denen seiner Begleiter. Ihre Pferde waren noch immer zusammengebunden. Der Körper des toten Königs wurde gewaschen und aufgebahrt, damit er in seine Heimat zurückgebracht werden konnte. Der junge Prince of Wales zeigte sich so tief beeindruckt vom Heldenmut des alten Blinden, dass er dessen Motto „Ich diene“ seinem eigenen Abzeichen hinzufügte. Bewegt hob der Schwarze Prinz den geflügelten Helm Johanns und sprach: „Hier liegt der Fürst der Ritterlichkeit, aber er stirbt nicht.“

    Im französischen Heer hatte das Sterben noch kein Ende. Philippe VI. war durch die Niederlage so sehr in seiner Ehre getroffen, dass er nach seinem Eintreffen im sicheren Amiens zornig nach einem Sündenbock suchte. Für ihn waren die Genueser Söldner schuld an seinem Misserfolg und Philippe war überzeugt, dass sie von seinem Feind Edward bestochen worden waren, absichtlich daneben zu schießen. Die Verräter sollten gefangengesetzt und hingerichtet werden. Viele Genueser wurden getötet, bis sich der Zorn des Königs abgekühlt hatte.

    Nach dem Sieg bei Crécy führte Edward III. sein Heer nach Calais, um durch die Eroberung dieser wichtigen Hafenstadt einen festen Punkt an der französischen Küste zu erlangen. Am 4. September 1346 begann er die Belagerung. Die Stadt wurde stark verteidigt und der Kommandant, Jean de Vienne, ein tapferer Ritter aus Burgund, wusste die Bürger zu kräftiger Verteidigung anzufeuern. Edward III. umgab die Stadt von der Landseite mit starken Verschanzungen, während eine zahlreiche Flotte den Hafen blockierte. Er glaubte, einen so festen und durch eine starke Besatzung verteidigten Ort nicht im Sturm nehmen zu können und wollte deshalb dessen Übergabe durch Aushungern der Einwohner erzwingen. Am 15. September entfernte der Kommandant von Calais daher 1700 Bürger aus Mangel an Lebensmitteln aus der Stadt; großmütig speiste Edward III. diese Personen und erlaubte ihnen den Durchgang durch das englische Lager. Nicht so gut erging es 500 Einwohnern, die bald darauf vertrieben wurden; sie kamen elend zwischen dem englischen Lager und der Stadt um.

    Im Mai 1347 sammelte Philippe VI. ein starkes Heer, dem sich die gesamte Ritterschaft Frankreichs angeschlossen hatte. Auf 100.000 Mann wurde die numerische Stärke dieser Streitmacht angegeben, die sich in langsamen Märschen Calais näherte und dabei am 27. Juli Wissant erreichte. Allerdings machte das sumpfige Gelände der Umgebung direkte Angriffe auf die Belagerer schwierig. Philippe VI. konnte sich aber nur auf zwei Wegen den Engländern nähern, längs der Küste, die durch die gegnerische Flotte bedroht wurde, oder durch die Sümpfe über eine Brücke, wo die Engländer sich stark verschanzt hatten. Beides schien den Franzosen unmöglich, und es erging daher die Aufforderung an die Engländer, aus ihren Verschanzungen herauszukommen und in der Ebene in einer offenen Feldschlacht die Entscheidung zu suchen. Dieser Vorschlag wurde nicht angenommen, und Kardinäle, die daraufhin im Auftrag von Papst Clemens VI. zu vermitteln suchten, blieben bei ihren Bemühungen erfolglos. So zog Philippe VI. am 2. August 1347 unverrichteter Dinge von Wissant ab und entließ sein Heer. Mit dem Abmarsch der Armee verschwand auch die letzte Hoffnung der Belagerten, die schon elf Monate alle Beschwerden der Einschließung ihrer Stadt hatten ertragen müssen. Bei den englischen Belagerern hingegen flammte der Kampfgeist neu auf, als sie die Nachricht erhielten, dass der schottische König David II. bei Kämpfen in Nordengland gefangen genommen worden und im Tower von London eingekerkert worden war.

    Jean de Vienne verlangte eine ehrenvolle Kapitulation; Edward III. bestand auf bedingungsloser Ergebung. Eine solche Einnahme der Stadt hätte Plünderungen und Zerstörung nach sich gezogen. Schließlich akzeptierte Edward III. die Kapitulation unter der Bedingung, dass sich die sechs vornehmsten Bürger der Stadt nur in einem Hemd bekleidet, den Strick um den Hals und die Schlüssel der Stadt und der Festung in der Hand ihm auslieferten. Am 4. August 1347 sollen diese Bürger freiwillig unter den genannten Bedingungen dem englischen König gegenübergetreten sein.



    Die sechs fielen vor Edward auf die Knie und baten ihn flehentlich um ihr Leben. Selbst die hartgesottenen Krieger im englischen Gefolge weinten bei diesem elenden Anblick. Trotz der demütigenden Kapitulation konnte nur die Bitte der schwangeren Königin Philippa von Hennegau Edward III. dazu bewegen, Gnade walten zu lassen. Er übergab ihr die sechs Geiseln, die wiederum von ihr freigelassen wurden. Sodann hielt er seinen Einzug in Calais mit der Härte eines Eroberers. Den Kommandanten und die Ritter behielt er in Gefangenschaft zurück, und alle Einwohner von Calais mussten die Stadt verlassen, in der sich daraufhin im Lauf der Zeit englische Handwerker und Kaufleute ansiedelten. Calais sollte ein fester Stützpunkt der Engländer auf dem Kontinent werden, und so kam es auch. Der Fall von Calais, die Zerstörung der normannischen Kanalhäfen und die Wegnahme oder Zerstörung von zahllosen französischen Schiffen schaltete für längere Zeit die Konkurrenz der englischen Kaufleute aus.



    Die englischen Truppen hatten auf dem Feldzug riesige Beute gemacht und heim geschleppt. Auch Edward III. hatte nun auf Jahre keine finanziellen Sorgen mehr. Zwar waren die Landgewinne überschaubar – außer Calais konnte sich keine englische Garnison auf Dauer halten – trotzdem war der Sieg für ihn großartig.



    Für Philippe VI. war der Waffenstillstand von September 1347 dagegen ein Desaster. Die Normandie war verwüstet, Armut und Hunger griffen um sich, der französische Handel war hart geschwächt. Für den König bedeutete das einen erheblichen Einschnitt bei den Steuereinnahmen. Philippe und seine Ritter waren ihrer heiligen Pflicht, das Land vor Feinden zu schützen, nicht nachgekommen. Erschwerend kam hinzu, dass die königlichen Ritter ausgerechnet von niedrig geborenen Bogenschützen besiegt worden waren. Wenn Adelige von Bauern besiegt werden konnten, blieb das nicht ohne Folgen für das soziale Gefüge, auf dem die mittelalterliche Gesellschaft ruhte. Es war Edward III. gewesen, der den Nutzen dieser vermeintlich minderwertigen Bogenschützen erkannt und bewusst eingesetzt hatte. Dem Valois Philippe hingegen galt der Spott der Engländer: „In den Zimmern bist Du ein Schmuck, in der Schlacht beinahe eine Jungfrau.“
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  2. #347
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    Der Hundertjährige Krieg, Teil 1



    Der Schwarze Tod

    Anfang 1348 feierte König Edward seine Siege über die Franzosen mit einer beispiellosen Reihe festlicher Turniere in London und anderen Städten. Dabei ritten auch vornehme Gefangene auf, darunter der Herzog der Bretagne, der französische Oberbefehlshaber Graf von Eu, sowie König David II. von Schottland. Menschliche Kriegsbeute, die Edward durch die Vorführung zugleich ehrte und demütigte. Noch während der Feiern aber erreichten düstere Nachrichten vom Kontinent die Insel. Seeleute berichteten von einer rätselhaften Seuche, die sich von Italien über Südfrankreich nach Norden ausbreitete. Etliche Landstriche und Städte habe sie entvölkert.

    Doch weder der König noch seine Berater begriffen das Ausmaß der heranziehenden Gefahr. Ihre Aufmerksamkeit galt dem nächsten, hoffentlich entscheidenden Feldzug gegen Paris. Um einen wertvollen Verbündeten zu gewinnen, sollte Edwards 14jährige Tochter Johanna den Thronfolger von Kastilien und Leon heiraten. Im Frühsommer 1348 schickte ihr Vater sie auf die Seereise nach Nordspanien.

    Derweil kroch der Schwarze Tod auf das Reich zu: jener Feind, gegen den weder Langbögen noch Lanzen etwas auszurichten vermochten, kein Geld und kein Glaube. Mitte Juni 1348 machten an Englands Südküste zwei Schiffe aus Bordeaux fest, dem Zentrum von Edwards Besitz in Frankreich. Mehrere Matrosen waren krank und mussten von Bord getragen werden. Kurz darauf starben sie. Schon bald zeigten die ersten Einwohner der Hafenstadt ähnliche Symptome wie die betroffenen Seeleute: Dunkle Flecken bedeckten ihren Körper, an den Lenden und unter den Achseln wuchsen Geschwüre. Sie wurden von heftigem Fieber gequält, einige spuckten Blut. Nach wenigen Tagen starben sie.



    Etwa um die gleiche Zeit forderte die Seuche knapp 700 Kilometer entfernt weiter südlich ein Opfer von höchstem Rang: Prinzessin Johanna, die ihre beschwerliche Reise nach Kastilien kurzzeitig in Bordeaux unterbrochen hatte, starb auf einem Schloss außerhalb der Stadt. Edward III. war schockiert. War das eine Warnung von Gott? Auch einige seiner Bischöfe wurden unruhig, weil doch Gott den Engländern eben noch seine Gunst auf dem Schlachtfeld erwiesen hatte.

    In den ersten Septembertagen 1348 tauchte die Krankheit auch außerhalb der südenglischen Hafenstadt auf und breitete sich in der Grafschaft Dorset aus. Über Land kam die Seuche im Durchschnitt mehrere Hundert Meter am Tag voran. Die Menschen begannen, die abgelegene Region lieber zu meiden. Entlang der Küste bewegte sich der Tod dagegen in größeren Sprüngen, denn Händler, Fischer und Schmuggler trugen ihn mit sich. Im August fand die Pest ein zweites Einfallstor, die Hafenstadt Bristol. Und von dort führte eine viel genutzte Straße direkt nach London.

    Rund 80.000 Menschen lebten in der Stadt, kein anderer Hafen schlug so viel Rohstoffe und Fertigwaren um, keine Bürgerschaft genoss ähnliche Macht und Privilegien. Das kombinierte Vermögen der Londoner Kaufleute übertraf die Ressourcen der königlichen Schatzkammer bei weitem. Ihre Kredite hatten Edwards Siege ermöglicht, London war die Herzkammer Englands. Auf welchem Weg die Krankheit sich in die Metropole hereinstiehlt, ob über die Landstraße von Bristol oder über den Themsehafen, blieb ungewiss. Ohnehin ahnten ihre Übermittler nicht, dass sie den Tod in sich trugen – und die Flöhe in ihrer Kleidung ihn weitergaben, etwa wenn sich die Infizierten an einem Passanten vorbeischoben, einen Geschäftsfreund trafen, mit einer Prostituierten von der London Bridge schliefen. Die Ersten starben noch im Verborgenen, von verängstigten Angehörigen und Pensionsbetreibern verheimlicht. So kam es, dass der offene Ausbruch der Pest in der Hauptstadt im Herbst 1348 einer Explosion glich. Binnen Tagen zeigten Hunderte Menschen die schwarzen Male und starben elendig.

    Der König hielt sich zu dieser Zeit in London auf, sondern in Sandwich an der Südostspitze Englands. Ungeachtet der Katastrophe beharrte er darauf, eine Armee gegen Frankreich zu führen. Erst Mitte November akzeptierte er, dass die auf beiden Seiten des Ärmelkanals grassierende Seuche keinen Heerzug zuließ. Widerwillig entließ der Monarch die Truppen und kehrte Anfang Dezember 1348 kurz nach London zurück, in den vergleichsweise abgeschirmten Tower. Zu Weihnachten reiste der Herrscher auf das Anwesen des Erzbischofs von Canterbury, um dort ein ausgelassenes Fest zu feiern. Nur langsam wurde Edward III. klar, dass die Pest mehr war als eine kurzfristige, ärgerliche Störung seiner Pläne. Am 1. Januar 1349 vertagte er das nach London einberufene Parlament auf April, denn nun ließ sich die Gefahr nicht mehr verdrängen. Edward zog sich mit seiner Familie auf ein Gut nördlich der Hauptstadt zurück, weg von dem Schwarzen Tod.

    Wie Edward wusste kein Herrscher Europas Rat gegen die Epidemie. Der deutsche König Karl IV. musste seine Krönung in Aachen verschieben, weil sich ein Zug der Geißler in der Stadt befand. In Avignon schloss sich Papst Clemens VI. in seinem Palast ein, um zu überleben. Und in Frankreich kollabierte in der Folge der Pest die Verwaltung.

    Im Frühjahr 1349 gewann Edward III. den Eindruck, dass die Pest abklingt. Zumindest fühlte er sich nun sicher henug, eine Anzahl Vasallen nach Schloss Windsor einzuladen und mit ihnen ein Turnier zu feiern, am Tag des heiligen Georg (23. April). Auf dem Turnier versammelte er erstmals die Mitglieder eines neuen, von ihm gestifteten Ritterordens zu Ehren des Kriegerpatrons. Bei der Zusammenkunft trug jeder Kämpfer um das gepanzerte Bein ein Hosenband, ein unter Adeligen verbreitetes modisches Accessoire, mit dem Motto des Ordens: „Schande über den, der übel davon denkt“ - vermutlich war damit Edwards Anspruch auf den französischen Thron gemeint. Immer noch behandelte der König die Pest wie eine lästige Unterbrechung seiner eigentlichen Bestimmung: auf dem Kontinent zurückzugewinnen, was seinen Vorfahren genommen wurde. Der Schwarze Tod wütete aber weiter. Wenige Tage nach dem Georgsfest erfasste sie auch den Palast von Westminster, vielleicht über einen Gerichtsboten, der aus einer vermeintlich noch nicht betroffenen Gegend kam und unbedacht vorgelassen wurde. Etliche Schreiber erkrankten und starben. Auch Edwards Leibarzt erlag der Pest. Anschließend holte sich der Tod Revisoren, Juristen und Räte, am 20. Mai sogar den Kanzler John Ufford. Die Verwaltung in Westminster begann zu wanken, und mit ihm das Fundament des Staates.

    Doch andere rückten nach. Jüngere erhielten Verantwortung, Veteranen wurden aus dem Ruhestand geholt. Zuweilen endeten in einem Kontenbuch die Einträge abrupt, nur um von einer anderen Handschrift fortgeführt zu werden. Wie viele auch starben: Die Überlebenden machten weiter mit Mut und Pflichtbewusstsein. Kanzlei, Schatzamt und der königliche Hof blieben in Betrieb. Das war wichtig für England, im Gegensatz zu Frankreich flossen die Steuereinnahmen weiter in die Kasse des Königs.

    Derweil zog sich der Monarch erneut für mehrere Monate auf ein isoliertes Landgut zurück, nach Woodstock in der Grafschaft Oxford. Trieb Feigheit Edward aus London oder war es das Verantwortungsgefühl, sich als König nicht der Gefahr auszusetzen? Auf die politischen und sozialen Folgen des Massensterbens musste er aber reagieren. Millionen seiner Untertanen waren gestorben oder sollten noch umkommen, vermutlich jeder zweite (!) Engländer. Das beispiellose Drama eröffnete andererseits den Überlebenden unverhoffte Möglichkeiten, sich Land, Geld und Ämter der Verstorbenen anzueignen. Die verknappten Arbeitskräfte erkannten den plötzlich ihren gestiegenen Wert, sie verlangten bessere Löhne.

    Gerade bei diesen Forderungen der einfachen Leute ging es für den König und seinen Fürsten um mehr als nur Geld. Wo kam man denn hin, wenn dem gemeinen Mann Forderungen zugestanden wurden? Derlei Anmaßung verletzte die göttliche Ordnung. Kirchenobere verurteilten die Lohnforderungen als Sünde: Denn zählten die Gier und der Stolz nicht zu den Ursachen, die eben erst das große Strafgericht der Pest heraufbeschworen hatten? Mitte 1349 stellte sich Edward III. hinter diese Auffassung der Besitzenden und ließ Arbeitszwang und Festlöhne gesetzlich vorschreiben. Diese Arbeitsordnung namens „Ordinance of labours“ charakterisierte den Herrscher: devot vor Gott, hart gegen das gemeine Volk, im Einklang mit den Besitzenden. Die Fürsten wussten ihren König dafür noch mehr zu schätzen.



    Und er machte damit offenbar alles richtig: Der Staat erholte sich schnell von der Katastrophe, der Adel war seit Edwards Thronbesteigung mit der Krone versöhnt, das Vertrauen des Parlaments gewonnen, ein ehrgeiziger Krieg glücklich geführt, ein robuster Staatsapparat geschaffen. Und die gottgefällige Ordnung wiederhergestellt. Binnen weniger Jahre waren die meisten Bauernhöfe neu besetzt, Handel und Gewerbe blühten wieder auf. Dazu trug wohl auch bei, dass die Pest England in einer Zeit getroffen hatte, in der das Land die Zahl seiner Einwohner kaum ernähren konnte, in der Hungernöte und Unterbeschäftigung um sich gegriffen hatten: Das große Sterben hatte diese Situation nun entschärft.

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  3. #348
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    Der Hundertjährige Krieg, Teil 1

    Die Schlacht von Poitiers

    Nach dem Abklingen der Pest konnte sich Edward III. wieder seinem eigentlichen Projekt widmen, seinem Anspruch auf die französische Krone. Der Waffenstillstand von Crecy, der im September 1347 geschlossen worden war, sollte 1355 auslaufen. Zumindest in Paris war die Bereitschaft zu einer baldigen Wiederaufnahme des Kampfes nicht allzu ausgeprägt, denn am 22. August 1350 starb der König Philippe VI. im Alter von 57 Jahren.



    Sein 31jähriger Sohn Jean II. konnte ohne Schwierigkeiten die Nachfolge antreten und sich am 26. September in Reims zum König salben lassen.



    Er musste zusehen, sein nach den militärischen Niederlagen und durch die Pest darniederliegendes Land in seinem Sinne zu restrukturieren. Für einige in Frankreich hatte das zur Folge, dass ihr Kopf rollte, sobald Jean II. ihre Intrigen auffliegen ließ. Zur politischen Festigung gehörte aber auch, dass Jean seine Tochter Jeanne mit dem König von Navarra, Charles II., verheiratete, um diesen als Verbündeten zu gewinnen. Das war keine kluge Entscheidung.

    Charles II. hatte von seinem Vater nicht nur das kleine Königreich Navarra in den Pyrenäen im Süden von Aquitanien geerbt, sondern auch die Grafschaft Evreux und andere wichtige ausgedehnte Gebiete in der Normandie. Er konnte damit ein wichtiger Verbündeter für Jean II. sein. Das Problem war, dass Charles sowohl über seinen Vater wie über seine Mutter mit dem französischen Königshaus verwandt war. Charles war davon überzeugt, dass er als Enkel Königs Louis X. auf dem Thron sitzen sollte und seine Hochzeit mit der zehnjährigen Jeanne Ende 1353 bestärkte ihn noch in dieser Meinung. Charles war absolut skrupellos, was die Wahl seiner Mittel anging. Von Ehrgeiz zerfressen, verfolgte er seine Ziele mit Verschlagenheit und schreckte vor keiner Grausamkeit zurück. Es war also kein Wunder, dass man ihn „le Mauvais“, den Bösen, nannte.

    Immer wieder entbrannten Streitigkeiten zwischen Charles und Jean, bis dieser ihn schließlich im April 1356 wegen des Vorwurfs des Hochverrats festnehmen ließ. Der englische König blieb vor Ablauf des Waffenstillstands natürlich auch nicht untätig: Er schickte seinen Sohn John of Gaunt (der in Gent geborene) nach Avignon, wo dieser Verhandlungen mit Philip von Navarra führte, dem Bruder des inhaftierten Charles. Es ging um einen gemeinsamen Zangenangriff auf Frankreich in der Normandie sowie in Guyenne, wobei sogar eine Aufteilung Frankreichs geplant wurde.

    Der Waffenstillstand zwischen England und Frankreich war bereits zum 1. Juni 1355 abgelaufen, und im Anschluss hatte Edward III. die Kampfhandlungen wiederaufgenommen. In jenem Sommer waren er und der Herzog von Lancaster in die Normandie eingedrungen, während der englische Thronfolger Edward von Aquitanien aus zum Plündern in südfranzösisches Gebiet marschierte. Da war der Aktionsradius noch eingeschränkt gewesen, denn von Navarra aus hätte Charles II. ja in Aquitanien einfallen können. Durch das Bündnis zwischen Edward III. und dem skrupellosen Schwiegersohn des französischen Königs hatte der Plantagenet jetzt, im Sommer 1356, den Rücken frei. Von Navarra aus drohte dem Prince of Wales keine Gefahr mehr für Aquitanien.

    Edward, der Schwarze Prinz, war inzwischen groß gewachsen, kräftig, und hatte große Ähnlichkeit mit seinem königlichen Vater. Er war am 15. Juni 1330 auf Woodstock Palace in der Grafschaft Oxford geboren worden. Bereits im Alter von drei Jahren hatte ihn der König zum Grafen von Chester ernannt. Mit sechs machte ihn der König zum Duke of Cornwall, zum Herzog. Damit war Prinz Edward der erste englische Adelige überhaupt, dem dieser Titel eines Herzogs verliehen worden war. Im Jahr 1343 folgte seine Einsetzung als Prince of Wales und im Jahr 1346 schlug ihn König Edward bei der Landung in der Normandie zum Ritter.

    Für manch einen Waliser in Edwards Heer hatte die Tatsache, dass ein englischer Prinz den Titel „Prince of Wales“ trägt, einen bitteren Beigeschmack. Diesen Titel hatte der walisische Fürst Llywelyn im Jahre 1267 anlässlich eines Friedensvertrages vom englischen König Henry III. verliehen bekommen. Die walisischen Fürstentümer waren unabhängig geblieben, bis Henrys Sohn Edward I. sich die Streitigkeiten ihrer Fürsten zu Nutze gemacht hatte und sie der englischen Krone unterwarf. Die Waliser leisteten jahrelang erbitterten Widerstand. Ihre Taktik der Hinterhalte und ihre langen Bögen lehrten die Engländer das Fürchten. Edward I. war ein pragmatischer Mann und warb daraufhin selbst walisische Bogenschützen für seine Heere an.



    Llywelyn fiel im Jahr 1282 in einer Schlacht. Um endlich Frieden zu bekommen, versprach Edward I. den Walisern, nur einen Fürsten zum Prince of Wales zu erheben, der in Wales geboren war und kein Wort Englisch sprach. Der Plantagenet hatte offenbar einen besonderen Sinn für Humor. Als neuen Prince of Wales präsentierte er den Walisern nämlich seinen Sohn Edward (II.), der auf Caernarfon Castle in Wales geboren war, und – da er noch in der Wiege lag – kein Wort Englisch sprach.

    Im Jahre 1356 trug der Schwarze Prinz als Thronfolger Englands nun diesen Titel. Trotz seines Alters von inzwischen 26 Jahren war er immer noch unverheiratet, das war ungewöhnlich. In den großen Adelshäusern war es üblich, Ehen aus dynastischen und machtpolitischen Erwägungen schon im Kindesalter zu arrangieren. Es hieß, Prinz Edward sei seiner jungen Tante Joan von Kent zugetan gewesen, eine schöne, jedoch schon zweimal verheiratete Frau. Am Königshof fürchtete man um den Ruf des Thronfolgers, falls er sich mit ihr verbinden sollte. Das wäre nur nach dem Tod ihres derzeitigen Gatten Thomas Holland möglich gewesen. Der war aber ein wichtiger Gefolgsmann des Königs. Außerdem hätte die Ehe mit einer Engländerin den Verzicht auf ein Bündnis mit einem ausländischen Fürstenhaus bedeutet. Weil der Prinz ein starrsinniger Mann mit heftigem Gemüt war – typisch für einen Plantagenet – war es kaum denkbar, ihn gegen seinen Willen zu verheiraten.

    1346 hatte der Schwarze Prinz sich in der Schlacht von Crecy seine Sporen verdient und sich als tapferer Kämpfer und Heerführer erwiesen. Crecy war auch dank seines Einsatzes zu einer Katastrophe für den französischen Adel und ihrem König Philippe VI. geworden. Mit dem Schwarzen Prinzen sollte es nun Philipps Sohn und Nachfolger Jean II. zu tun bekommen.

    Wichtig war sicherlich, was die französischen Ritter aus dem Debakel von Crecy lernen sollten. Sie hatten sich in den Jahren danach, was ihre Strategie betraf, den veränderten Gegebenheiten noch nicht so weit angepasst wie ihre englischen Gegner. Ihr Verhalten war von einem romantischen Ritterideal geprägt, dem sie durch ihr zum Teil ungestümes und undiszipliniertes Verhalten gerecht zu werden trachteten. Kein Ritter durfte Furcht zeigen oder im Kampf hinter einem anderen zurück stehen. Oft genug sahen sie den frontalen Angriff als einzig wahre Möglichkeit für einen Ritter, einem Gegner zu begegnen. Taktieren oder auch nur das Abwägen taktischer Möglichkeiten sahen sie für gewöhnlich als Feigheit an.

    Im Jahr 1351 gründete Jean II. nach dem Vorbild des englischen Hosenbandordens einen eigenen Ritterorden, den „Orden vom Stern“ mit einem weißen Stern auf rotem Grund als Zeichen ihrer Mitgliedschaft. Anders als der viel exklusivere englische Hosenbandorden hatte der Sternorden zahlreiche Mitglieder. Das war zum einen der größeren Zahl an Rittern in Frankreich geschuldet. Jean II. beabsichtigte aber auch, mittels des Ordens die militärische Kraft Frankreichs zu stärken und die Wiederholung des Desasters von Crecy zu verhindern. Den Mitgliedern des Ordens wurden nur Erfolge auf dem Schlachtfeld als Verdienst angerechnet, nicht jedoch solche auf Turnieren. Bei ihrer Aufnahme in den Orden schworen die Mitglieder, nie einem Feind aus Furcht den Rücken zu zeigen oder mehr als vier Schritte zurückzuweichen. Auch Jean II. selbst legte diesen Schwur ab.

    Das hörte sich erst einmal nicht so an, als ob man was aus der Niederlage von 1346 gelernt hatte. Damals war ein um die andere Frontalattacke der berittenen Adeligen im Pfeilhagel der englischen Langbogenschützen niedergemacht worden. Diese hatten sich defensiv gut aufgestellt und wurden von Fußtruppen geschützt. In Frankreich betrachtete man insbesondere den Einsatz niedrig geborener Fußtruppen als Kerntruppe als würdelos. Der entscheidende Kampf musste den Adeligen vorbehalten bleiben. Andererseits hatte man die tödliche Effizienz der Bogenschützen kennengelernt. Man musste sie als Faktor auf dem Schlachtfeld also ausschalten. Dies sollten künftig Abteilungen übernehmen, die sich aus Armbrustschützen und Eliterittern zusammensetzten. Die Schützen sollten mit den Pavesen, großen Schildern, vorrücken. Die Pferde der Ritter erhielten einen besonders starken Kopf- und Brustpanzer, durch den die Pfeilspitzen der Engländer nicht durchdringen konnten. Diese Abteilungen sollten auf dem Schlachtfeld die Aufgabe übernehmen, die Langbogenschützen zu vertreiben, bevor der eigentliche Angriff beginnt. Bestimmt war es für die französischen Elite-Ritter eine wenig attraktive Aufgabe. Der Kampf gegen andere noble Ritter war es, der Ehre brachte, und den sie anstrebten. Aber sie wussten um die Notwendigkeit, sich um die gefährlichen Fußtruppen zu kümmern.
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

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    Der Hundertjährige Krieg, Teil 1

    Die Engländer wollten den Sommer 1356 nun dazu nutzen, sogenannte Chevauchées in Frankreich durchzuführen. Das waren im Grunde nichts anderes als Raubzüge. Mit zügigem Tempo, damit das feindliche Heer einen nicht stellen konnte, zog man durch die Lande des Gegners und verwüstete alles, was greifbar war.



    Was man nicht mitnehmen konnte, zerstörte man. Befestigte Städte und Burgen ließ man dabei links liegen. Denn man zog ohne schweres Belagerungsgerät, das einen nur ausgebremst hätte, los und verzichtete auf lange Belagerungen. Der Schwarze Prinz sollte von Aquitanien aus starten, im Norden sollten zugleich König Edward von Calais aus, und der Herzog von Lancaster von der Bretagne aus in die Normandie einfallen.

    Jean II. wusste, dass die Engländer die Jahreszeit wieder nutzen würden, sein Land zu überfallen. Er berief die Vertreter der drei Stände – Klerus, Adel und Bürger – zur Generalversammlung ein und ließ sich die nötigen Mittel bewilligen, um eine Armee von 30.000 Mann aufzustellen. Es war übrigens das erste Mal, dass Frankreichs König dem bürgerlichen Stand politische Zugeständnisse machen musste, ein Zeichen für die ernste Lage. Mit dieser Heeresmacht von 30.000 Mann war Jean seinem Gegner mindestens ebenbürtig. Mehr noch: Die englischen Heere marschierten auf ihren Raubzügen zunächst getrennt, es bestand also die Chance, ihre Vereinigung zu unterbinden und sie getrennt zu schlagen. Jean II. machte sich auf die Fersen des Schwarzen Prinzen, der es in Südfrankreich arg trieb mit seinem Raubzug. Um das notwendige Marschtempo zu erzielen, teilte der französische König die Berittenen von den Fußtruppen ab und nahm die Verfolgung auf. Es folgte ein wochenlanges Katz- und Maus-Spiel, denn Prinz Edward musste sich zuerst mit dem Heer von Lancaster vereinen, bevor er den Franzosen gegenübertreten konnte. Doch Lancaster hing mit seinen Männern im Norden fest und konnte nicht zu ihm vorstoßen. Bei Poitiers klemmte sich das französische Heer im September 1356 zwischen Lancaster und den Prinzen und nahm Edward in die Zange. Bald war klar, dass Edwards Heer es nicht bis zum sicheren Bordeaux zurück schaffen würde. Er musste sich ohne die Verstärkungen aus dem Norden zur Schlacht stellen.



    Edward wählte den Ort des Zusammentreffens mit Bedacht aus, das Gelände sollte taktisch genutzt sein. Das englische Heer stellte sich nahe Poitiers bei einer alten Römerstraße namens Maupertius auf. Die Männer besetzten ein Plateau, mit einem Wald in ihrem Rücken. Vor sich befanden sich Hecken, eine Linie aus ineinander verschränkten Büschen und Unterholz, durch das es nur zwei Durchgänge gab, die ansonsten Bauern für ihre Karren nutzten. Das bot einen gewissen Schutz vor einem frontalen Reiterangriff der Franzosen. Edward stellte seine Truppen in einer Linie auf, im Zentrum die Schwert- und Spießträger, vor ihnen sowie an den Flanken die Bogenschützen. Die rechte Flanke wurde durch zusammengeschobene Wagen des Trosses geschützt, an der linken Flanke postierten sich die Bogenschützen im sumpfigen Boden eines nahen Baches. Der weiche Grund stellte sicher, dass schwere Reiter hier keine schnelle Attacke führen konnten. Edward selbst stand im Zentrum, bei sich eine Reserve zu Fuß sowie eine berittene Reserve. Alles in allem hatte der Prinz etwa acht- oder zehntausend Mann bei sich.

    Es war der 18. September 1356, als sich aus dem gegenüberliegenden Wäldchen das Heer der Franzosen näherte. Die Engländer hielten bei dem Aufmarsch der Feinde den Atem an, ihre Zahl war doppelt so groß wie die der eigenen Reihen. Zahllose Ritter, Fußknechte und Schützen bezogen ihre Stellung auf dem Hügelkamm im Norden. Über den feindlichen Linien wehte ein unübersehbarer Wald von Bannern, darunter das des Königs Jean II. selbst. Für jedermann in diesem Tal deutlich erkennbar aber wehte über allen das blutrote Tuch der Oriflamme, die heilige Kriegsflagge Frankreichs. Unter ihr marschierte das Heer dann, wenn Frankreich oder die Christenheit in Gefahr schwebten. Der Kampf unter der Oriflamme bedeutete auch, dass keinem Feind Pardon gegeben wird.



    So nahmen die Heere ihre Aufstellungen ein. Einen Tag lang noch pendelte der Kardinal von Perigord zwischen den beiden Königen hin und her, um im letzten Augenblick einen Waffenstillstand zu vermitteln, aber er hatte damit keinen Erfolg. Anschließend schloss er sich mit seinen Truppen dem Heer der Franzosen an – was bei den Engländern für einiges Stirnrunzeln sorgte. Den Tag hatte das französische Heer genutzt, um sich geordnet aufzustellen. Nun waren die Männer bereit zum Zuschlagen. Mit dem Sonnenaufgang des nächsten Tages, dem 19. September 1356, endete der Waffenstillstand. Dann sollte das Töten beginnen und Jean II. wollte den Schwarzen Prinzen für alles büßen lassen, was dieser seinem Königreich angetan hatte.



    Edward unternahm noch einen letzten Versuch, sein Heer kampflos vom Feld zu entfernen, der Tross sollte, hinter dem linken Flügel seiner Linie, heimlich die Straße nach Süden zum Abziehen verwenden. Doch in dem morastigen Grund steckten die beladenen Wagen rasch fest. Es blieb nur noch, zu Stehen und zu Kämpfen. Die Franzosen sahen die entstandene Lücke im linken englischen Flügel und eröffneten auf dieser Seite ihren Angriff. Ritter zu Pferde, vor sich Fußtruppen mit Armbrüsten bewaffnet, marschierten auf die Engländer zu. Ihre Aufgabe lag auf der Hand: Die Reiter sollten die Bogenschützen vom Schlachtfeld vertreiben. Zu diesem Zweck waren die Pferde, wie erwähnt, nach vorne hin besonders gut gepanzert. Auch die Armbrustschützen rückten umsichtiger als in Crecy vor, immer abgeschirmt von den Pavesenträgern, die mit Spieß und Schild die eigentlichen Schützen deckten. Die Reiter gewannen zunehmend an Geschwindigkeit und ließen die Armbrustschützen, die dem Tempo nicht folgen konnten, bald hinter sich zurück. Als die Ritter in die Reichweite der Bogenschützen kamen, feuerten diese ihre todbringenden Salven ab. Doch es lief anders als in Crecy: Dank der Panzerungen und dank der Schilde, die die Ritter zu ihrem Schutz vor sich hielten, prallten die Pfeile wirkungslos ab!

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    Der Hundertjährige Krieg, Teil 1

    Eine Schrecksekunde durchfuhr die Schützen, die die Reiter auf sich zu galoppieren sehen. Geistesgegenwärtig befahl der Graf von Oxford den Bogenschützen nach Westen auszuschwärmen, damit sie ein besseres Schussfeld hatten. Die Ritter passierten nun die Reihen der Schützen – und gaben die weniger gut gedeckten Flanken ihrer Rösser preis. Jetzt fanden die Pfeile ihre Opfer, getroffene Pferde gingen durch oder blieben wie erstarrt einfach stehen. Der Bann war gebrochen, die Ordnung wieder hergestellt – die Bogen beherrschten wieder das Geschehen. An dieser Flanke brach der Nahkampf aus zwischen den französischen Rittern und den englischen Fußtruppen. Von der Seite beharkten die Bogenschützen den Feind, selbst unter dem Feuer der Armbrustschützen.

    Nun eröffnete Jean II. den Angriff in der Mitte. Hier konnten die englischen Bogenschützen nur frontal auf ihre Gegner feuern. Dafür mussten sich die französischen Truppen durch die engen Heckendurchgänge kämpfen, die natürlich von Edwards Soldaten verteidigt wurden. Ein blutiges Gemetzel um die Durchgänge entbrannte, über den Köpfen der Kombattanten flogen die Pfeile und Bolzen der Plänkler hin und her und trafen viele Männer. Zwei Stunden lang dauerte das Fechten schon an, es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis die in Unterzahl kämpfenden Engländer ermüden und den Durchgang freigeben mussten. Doch dann fiel ihnen das Banner des französischen Thronfolgers in die Hände, ein schwerer Schlag für die Moral seiner Soldaten. Sie drohten den Zusammenhalt zu verlieren und zogen sich geordnet zurück. Diszipliniert hielten sich die Engländer im Zentrum zurück und verzichteten auf eine Verfolgung. Ihre Schlachtreihe blieb geschlossen. Das war wichtig, die Engländer würden die Stellung an der Hecke auch so nicht mehr lange halten können.



    Dann aber geschah etwas Merkwürdiges: Eine ganze Abteilung des französischen Heeres zog vom Schlachtfeld ab, unter ihnen, erkennbar an den Bannern, der Dauphin Charles und ein weiterer Sohn des Königs. Offenbar wollte Jean II. sicherstellen, dass die beiden nicht in die Gefangenschaft der Feinde geraten, und schickte sie vom Feld. In den eigenen Reihen sorgte das für Verwirrung: Gab der König die Schlacht verloren? Jean II. selbst jedenfalls blieb, bei sich sein dritter Sohn Philipp. Die Hauptstreitmacht des Königs rückte nun ebenfalls im Zentrum vor und versuchte die Hecke zu überwinden. Die war ob der heftigen Kämpfe bereits so zerhauen, dass sie immer weniger ein Hindernis darstellte. Die Schlacht kam nun zu ihrem Höhepunkt, die Reihen der Engländer drohten zu wanken. Die Pfeile drohten allmählich auszugehen. Die müden und abgekämpften Soldaten wurden unruhig und drohten angesichts der überlegenen französischen Streitmacht die Nerven zu verlieren. Einer schrie in seiner Verzweiflung laut: „Wehe, wir sind geschlagen!“ Der Prince of Wales hörte das und rief zurück: „Du lügst, du Schurke, wenn du sagst, dass wir besiegt werden können, solange ich lebe!“ Edward hatte noch einen Trumpf im Ärmel.

    Der englische Prinz hatte nämlich die kurze Pause, die die seltsamen Vorgänge bei den Franzosen seinem Heer gewährt hatten, genutzt. Er befahl seiner Reserve, auf die Pferde aufzusitzen und einen Gegenangriff vorzubereiten. Zweihundert Mann ritten um den rechten englischen Flügel (den mit den Wagensperren) herum und - durch eine Senke hinter einem Hügel vor Blicken geschützt – in den Rücken des französischen Heeres.

    Im Zentrum des Schlachtfeldes brachen die Franzosen allmählich durch die Hecke durch und strebten das Plateau aufwärts. Hinter den ersten Reihen, in denen sich der hohe Adel des französischen Königreichs drängte, folgten die weniger noblen Kämpfer, die Reisigen und Spießknechte. Die Oriflamme und das Lilienbanner des französischen Königs zeigten, dass dessen Ziel der Prince of Wales war. Der Standort des Prinzen war durch dessen eigenes Banner für jedermann weithin kenntlich. Nur noch wenige Augenblicke, und die Elite der französischen Ritterschaft würde die letzten Reihen erreichen, die Edward noch schützten.

    Doch dann kam das Zeichen! Auf dem nördlichen Hügel, der den Franzosen als Sammelplatz und Ausgangspunkt für ihren Angriff gedient hatte, wurde die Fahne des Heiligen Georg geschwenkt. Die zweihundert Reiter hatten das Schlachtfeld umrundet und waren so unbemerkt hinter die linke Flanke der Franzosen gelangt. Sie sahen die ernste Bedrängnis, in der sich der Schwarze Prinz befand und gaben rasch ihren Pferden die Sporen, drängten von hinten durch die Hecke und fielen über die Franzosen her. Die wurden von der Wucht des Angriff förmlich überrollt. Viele fielen, noch mehr flohen. Nun warf Edward von seiner Seite aus den Rest seiner Truppen in den Kampf und ließ seine Männer den Hügel hinabstürmen. Der Zeitpunkt des hinterrücks geführten Angriffs war absolut zum richtigen, zum rechtzeitigen Augenblick erfolgt!



    Viele französische Adelige fielen in dem Gedränge, andere flohen mit ihren Männern vom Feld. Das durch die vielen Verluste zusammengeschmolzene Bataille Jeans II. konnte dem Druck der Angreifer nicht mehr standhalten und wich zurück – in das Feuer der Bogenschützen, die nun von der linken Flanke aus dem Sumpf heraus vorrücken konnten. Damit war das Schicksal der mit dem König unter den Bannern der Lilie und der Oriflamme kämpfenden Männer besiegelt. Es gab kein Entkommen mehr. Am härtesten tobte der Kampf um die Position des Königs selbst, er war das begehrteste Ziel auf diesem Schlachtfeld. Die Feinde bedrängten ihn hart. Dann fiel Geoffroi de Charny, der Träger der heiligen Oriflamme. Mit ihm fiel das Kriegsbanner Frankreichs und die Moral und die Widerstandskraft der verbliebenen Krieger. Wer konnte, der floh.

    Im Zentrum, um den von Feinden umringten König, kam Flucht nicht in Frage, sie mussten mit ihrem Herrscher stehen und untergehen. Kein französischer Ritter konnte es mit seiner Ehre vereinbaren, sich im Angesicht ihres noch immer kämpfenden Königs zu ergeben. Hier zeigte sich unmittelbar die Folge des Schwurs, den Jean II. als Mitglied des Sternordens geleistet hatte: Unter keinen Umständen vor dem Feind zu weichen und vom Schlachtfeld zu fliehen. Englische Soldaten drängten sich um Jean II. und seine immer weniger werdenden Getreuen. Jeder von ihnen wollte als derjenige in die Geschichte eingehen, der den französischen König gefangen genommen hat. Denn es war nicht üblich, einen adeligen Gegner niederzumachen, dafür war das Lösegeld, das ein solcher Gefangener einbrachte, zu wertvoll. Für den gemeinen Kämpfer, den kein Wappenrock als eine lohnenswerte Geisel auswies, bedeutete das andererseits, dass er nicht auf Schonung hoffen durfte. Der König hingegen versprach ein unermessliches Lösegeld, das wusste jeder Engländer, und sie riefen Jean II. zu: „Sire, ergebt Euch, sonst seid Ihr tot.“

    Ein junger Ritter namens Denis de Morbeke drängte sich zum König vor und versprach ihm, ihn zu König Edward III. zu führen, wenn er sich ihm ergeben würde. Da reichte Jean ihm zum Zeichen seiner Aufgabe seinen rechten Handschuh. Um den Glücklichen herum entbrannte zwischen zehn Engländern ein derart bedrohlicher Streit um die Person des Valois, dass dieser seine Feinde beschwichtigen musste: „Ihr Herren, streitet nicht, führt mich höflich – und meinen Sohn – zu meinem Cousin, dem Prinzen, und streitet nicht über meine Gefangennahme, denn ich bin ein so großer Her, dass ich Euch alle reich machen kann.“ Zwei hohe Herren aus dem Gefolge des Prinzen kamen angeritten und nahmen Jean mit sich, um ihn zu Edward zu bringen.

    Die Schlacht war damit endgültig zu Ende, überall ertönte das Siegesgeschrei der Engländer und ihrer Verbündeten aus Aquitanien. Sie konnten jetzt losziehen, um Jagd auf Fliehende zu machen: Um die wertvollen Adeligen gefangen zu nehmen und die Einfachen zu töten und auszuplündern. Kein Wunder, dass die gewöhnlichen Fußtruppen bei einer sich abzeichnenden Niederlage das Weite suchten. Die Gefangenen waren verpflichtet, nicht zu fliehen, sondern den Anordnungen des Siegers zu folgen und ihn zu unterstützen. Ein adeliger Herr, der sich ergab, konnte erwarten, standesgemäß behandelt zu werden und nach der Schlacht freigelassen zu werden, wenn er sein Ehrenwort gab, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort zu erscheinen. Für einen Ritter war es undenkbar, das einem anderen Ritter gegebene Wort zu brechen.

    Jean II. wurde in das Zelt des Prinzen, zu Edward, gebracht. Der Prinz grüßte den französischen König untertänig und ließ ihm Wein und Essen bringen, das er seinem Gefangenen selbst aufwartete. Dem Anführer der entscheidenden Reitertruppe, Sir James Audley, umarmte Edward herzlich und belohnte ihn mit einer lebenslangen Rente von 500 Goldstücken jährlich aus seinem persönlichen Erbgut. Später erfuhr Edward davon, dass Audley sein Einkommen an vier Knappen weitergegeben hatte, die in Poitiers mit ihm gekämpft hatten. Der Schwarze Prinz war von dieser noblen Geste so beeindruckt, dass er Sir Audley eine weitere Rente von 600 Goldstücken zukommen ließ.

    Am Abend nach der Schlacht beleuchteten Fackeln das englische Lager. Das Schlachtfeld war „geräumt“, es drohte keine Gefahr mehr für die Engländer. In seinem Zelt bewirtete Edward den französischen König, dessen jüngsten Sohn und die vornehmsten unter den gefangenen Adeligen. Aus dem Zelt drangen gedämpfte Stimmen. Die Gäste hatten keinen Grund zum Jubeln und der Gastgeber war höflich genug, sie seinen Triumph nicht fühlen zu lassen. Der Prinz wartete dem König eigenhändig auf und weigerte sich, selbst an dessen Tafel Platz zu nehmen, sooft dieser auch dazu aufforderte. Er erklärte, er sei nicht würdig, mit einem so großen Fürsten wie dem König am selben Tisch zu sitzen. Er würdigte die Tapferkeit des französischen Königs, der alle Krieger seines Heeres an Mut übertroffen habe. Das Festgelage kam dem Prince of Wales billig, denn alles, was er seinen Gästen bot, stammte aus deren eigenem Lager. Seine Männer hatten es mittlerweile besetzt und geplündert.

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    Der Hundertjährige Krieg, Teil 1

    Ein König in Ketten

    Der Sieg der Engländer war großartig. Bei geringen eigenen Verlusten hatten sie den Gegner klar geschlagen und ihren König in ihre Gewalt gebracht. Jean II. wurde zunächst nach Bordeaux gebracht, im April 1357 nach London, wo ihn Edward III. ehrenvoll behandelte und mit höfischen Vergnügungen unterhielt. Militärisch war Frankreich geschlagen, sein König ein wertvoller Faustpfand für die nun anstehenden Friedensverhandlungen. Neben Jean hatte Edward III. ja auch noch den schottischen König David in seiner Hand.

    Anders die Lage beim Gegner: Die erneute Niederlage blieb in Frankreich nicht ohne Folgen, wieder hatte der Adel bei der Verteidigung des Landes versagt. Der Vorwurf der Unfähigkeit und vor allem der Feigheit führte zu einer schweren Krise. In Paris musste Jeans Sohn Charles (V.) die Regierung übernehmen und sah sich argen Problemen gegenüber: Der eigene Adel sammelte sich um den hinterlistigen Charles von Navarra, die Bürger um den Prevot (Vorsteher der Kaufmannsgilde) Etienne Marcel. Im Frühjahr 1358 griffen dann auch noch die Bauern zu den Waffen, verbündeten sich mit den Bürgern, und der Dauphin musste aus Paris fliehen. Der Bauernaufstand wurde für ihn zum unverhofften Glücksfall, denn die Bauern richteten ihren Zorn nicht gegen die Krone, sondern gegen den Adel. Der bedrängte Adel suchte rasch den Schulterschluss zum Dauphin, mit vereinten Kräften vernichtete man die Bauernrevolte. Ihr Untergang drehte auch in Paris die Stimmung, und Etienne Marcel wurde bei Unruhen in der Stadt erschlagen. Charles V. ging letztlich gestärkt aus dieser Krise hervor.

    Edward III. konnte seinen Sieg von 1356 nun politisch ummünzen. Der Schotte David II. durfte gegen ein enormes Lösegeld und Gestellung von Geiseln nach Hause zurückkehren. Zu zahlen hatte er 100.000 Mark binnen zehn Jahren, was noch seine finanziellen Kräfte übersteigen sollte. David II. griff zum bewährten Mittel der Steuererhöhungen, was die Clanführer auf die Barrikaden rief und 1371 schließlich zum Ende seiner Dynastie führte: Mit David II. starb der letzte Bruce auf dem schottischen Thron, und mit Robert II. Steward (=Stuart) folgte eine neues Geschlecht, das Schottland bis 1702 beherrschen sollte.

    Komplizierter waren die Verhandlungen Edwards mit Frankreich. Jean selbst war bereit, für seine Freilassung so ziemlich jeden Preis zu bezahlen. In Paris sah man das anders. Sollte man wirklich auf ganz Aquitanien, Poitou und weitere Gebiete förmlich verzichten und für den König auch noch vier Millionen Ecus Lösegeld bezahlen? Die zwischenzeitlichen Unruhen in Frankreich nutzte Edward, um auf seine Weise Druck auszuüben und den Preis weiter hochzutreiben. Er zog mit einem Heer nach Frankreich bis vor die alte Krönungsstadt Reims, wo er sich wohl die französische Krone aufsetzen lassen wollte. Charles V. igelte sich in den Städten ein und überließ den Engländern das offene Land. Wegen des Winters musste Edward sowohl von Reims als auch von Paris ergebnislos abziehen, aber die Machtdemonstration zeigte Wirkung. Am Ende stand der Friedensvertrag vom Mai 1360: Für seinen förmlichen Verzicht auf den französischen Thron bekam er eine ansehnliche Gegenleistung.



    Edward musste für Aquitanien (auch Guyenne genannt) keinen Lehnseid mehr leisten, es gehörte ihm. Frankreich verzichtete sozusagen auf ihren „Core“ in diesen Provinzen, Dazu bekam Edward III. die Souveränität über die Gascogne und Poitou, Tourraine, Anjou, Maine, Ponthieu, Guines und die Normandie. Auch die Hoheit über das bereits 1347 eroberte Calais bekam er zugesprochen.



    Für die Freilassung von Jean II. wurden drei Millionen Ecus fällig, nach Zahlung der ersten Rate durfte der Valois nach Hause zurückkehren. Kurioserweise war Jean II. bald darauf gezwungen, sich wieder als Geisel in London einzufinden. Sein zweitältester Sohn Louis von Anjou brach nämlich sein ritterliches Ehrenwort, das er als Geisel der Engländer geleistet hatte und entzog sich der Gefangenschaft – angeblich musste er dringend zu einer Pilgerreise aufbrechen. Was für ein Eklat und ein Ehrverlust für das Haus Valois! König Jean II. konnte diese Schande nur heilen, indem er anstelle seines pflichtvergessenen Sohnes freiwillig zur neuerlichen Haft in London antrat. Jean kehrte nicht mehr in seine Heimat zurück: Er starb überraschend am 8. April 1364. Sein Rivale Edward übergab den Leichnam, damit Jean in würdiger Form in Saint-Denis bei Paris beigesetzt werden konnte. Tragisch, auch für den englischen König: Das schöne Lösegeld war hinfällig geworden.



    Ohne Probleme konnte nun der bisherige Dauphine Charles V. den französischen Thron besteigen. Beide Parteien waren zunächst darauf bedacht, ihre Position zu konsolidieren. Dass ein weiterer Waffengang kommen würde, war allen klar, vorerst war aber der Waffenstillstand einzuhalten und die Kräfte neu zu bündeln. Was also machen zwei Großmächte in solch einer Situation? Sie suchen sich einen Stellvertreterkonflikt. Der ergab sich in Kastilien, wegen seiner Flotte ein potentiell wichtiger Bündnispartner. In Kastilien stritten sich der junge König Peter I. (der Grausame) und sein illegitimer Halbbruder Heinrich von Trastamara um die Macht. Genau genommen gab es sogar sieben Halbbrüder, aber machen wir es hier nicht zu kompliziert. Dieser Peter war übrigens derjenige gewesen, den Edward III. 1348 als Gemahl für seine Tochter Joan ausgesucht hatte, die junge Dame war während der Reise nach Spanien, wie erwähnt, an der Pest gestorben.

    Peter I. hatte 1353 einen folgenreichen Skandal verursacht, der ebenfalls mit einer Eheschließung zu tun hatte. Erst hatte er die Tochter des bourbonischen Herzogs Peter (der 1356 in der Schlacht bei Poitiers fiel) geheiratet – nur um diese wenige Tage später zu verstoßen und seine Geliebte zu heiraten. Das war Bigamie und erzürnte Papst, Klerus und einen guten Teil des Adels! Im Jahre 1356 erklärte ihm der König des benachbarten Aragon den Krieg – der hieß übrigens Peter IV., weshalb dieser Konflikt nicht nur hier in EU4 der „Krieg der Peter“ genannt wird. Mit Hilfe von Aragon konnte der Halbbruder Heinrich von Trastamara nach Kastilien zurückkehren, es entbrannte eine Art Bürgerkrieg. Als 1361 die verstoßene Braut, noch immer in Peters Haft, mit nur 22 Jahren starb, war der Vorwurf des Meuchelmordes natürlich schnell zur Hand. Man sprach davon, dass Peter I. seiner 22jährigen (Ex-) Frau einen Bogenschützen gesandt habe, es war auch von Gift die Rede. Kann auch sein, dass die Dame einfach an der Schwindsucht gestorben war. Die Empörung bei Peters Gegnern war jedenfalls riesig, Heinrichs Unterstützer wurden immer mehr. Schließlich musste sich Peter I. im Jahre 1366 aus Kastilien absetzen – und suchte Schutz beim Schwarzen Prinzen in Aquitanien.

    Der Trastamara ließ sich in Burgos zu Heinrich II. von Kastilien krönen. Ein Bundesgenosse der Franzosen auf dem kastilischen Thron? Das war für England nicht gut. Prinz Edward marschierte Anfang 1367, gemeinsam mit seinem Bruder John of Gaunt, über Navarra nach Kastilien vor, die Truppen von Peter I. im Schlepptau. Bei einer Schlacht bewies der Plantagenet mal wieder seine militärischen Fähigkeiten, Heinrich II. wurde geschlagen und floh nach Frankreich. Nun saß der englandfreundliche Peter I. wieder auf dem Thron. Auf Dauer konnte Prinz Edward aber nicht als Schutzmacht dort bleiben, er erkrankte schwer und kehrte im September 1367 wieder nach Bordeaux zurück. Kaum waren die Engländer abgezogen, sah der Trastamara seine Chance für gekommen. Mit Unterstützung von Frankreich, Aragon und dem Segen des Papstes marschierte er wieder in Kastilien ein. Der Bürgerkrieg ging in die nächste Runde. In wechselvollen Kämpfen konnte Heinrich II. seinen Halbbruder nicht nur besiegen, er lockte ihn am 23. März 1369 in eine Falle und ermordete ihn eigenhändig.



    Der Kampf war entschieden – und damit kam es in Kastilien zu einem dauerhaften Dynastiewechsel, die Trastamara sind in EU4 die herrschende Familie in Kastilien. Die beiden Töchter des getöteten Peters flohen übrigens nach Aquitanien und wurden mit den jüngeren Brüdern (John of Gaunt und Edmund) des Schwarzen Prinzen verheiratet.
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    Der Hundertjährige Krieg, Teil 1

    Für Prinz Edward war das Eingreifen in Kastilien letztlich ein ebenso teures wie erfolgloses Unternehmen geworden. Er musste – auch wegen seiner kostspieligen Hofhaltung in Bordeaux – zu ordentlichen Steuererhöhungen greifen, die seine Vasallen verbitterten. Die Wassersucht, unter der der Schwarze Prinz vermutlich litt, hatten ihn zu einem übellaunigen Despoten werden lassen. Die aquitanischen Adeligen erinnerten sich daran, dass sie doch irgendwie auch Gefolgsleute des französischen Königs waren und wandten sich mit ihren Beschwerden an Charles V. - und der betonte, dass er gegenüber den Engländern nicht so leutselig war wie sein Vater Jean. Charles holte sich bei französischen und italienischen Universitäten Auskunft ein, ob der Plantagenet mit seinem Verhalten gegen das Feudalrecht verstoßen habe. Die Gelehrten bejahten dies und bestärkten den französischen König in seiner Meinung, dass er für die entsprechende Anklage zuständig und berechtigt sei. Charles V. entschied sich für den Konflikt und lud den Schwarzen Prinzen vor ein Pariser Gericht. Wie erwartet wies Prinz Edward die Vorladung zurück, was dem Valois die Handhabe gab, Aquitanien für die französische Krone einzuziehen. Die unmittelbare Folge war, dass König Edward III. ihm 1369 den Krieg erklärte und wieder einmal seinen Anspruch auf den französischen Thron erhob. Es konnte also in die nächste Runde gehen.

    Dieses Mal waren die Voraussetzungen für England ungleich schlechter als bei den früheren Waffengängen. Weder Edward III. noch sein Sohn waren auf diesen Krieg vorbereitet, sie beide waren aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht mehr zu einem guten Feldzug in der Lage. Die Strahlkraft des ritterlichen Königs bzw. Prinzen waren am Verblassen, in England hatte sich die Korruption vor allem der Ratsmitglieder zu einem ernsthaften Problem entwickelt. Ganz schlimm traf 1369 Edward III. der Tod seiner Ehefrau Philippa von Hennegau, im Jahr zuvor war bereits sein Sohn Lionel gestorben. Von da an war der König nur noch ein Schatten seiner selbst, er wandelte sich zu einem senilen Greis. Obwohl er seine Königin ständig betrogen hatte, schien Edward unfähig, ohne sie zu funktionieren. Weil auch Prinz Edward zu krank war, musste/konnte der 30jährige John of Gaunt das Ruder für die Plantagenet übernommen. Seit 1362 war John of Gaunt übrigens der Herzog von Lancaster. Er begründete damit das Haus Lancaster, ich nenne ihn ab hier auch schlicht „Lancaster“. Das wird später noch eine Rolle spielen, also gewöhnen wir uns an den Namen.

    Der Krieg ab 1369 lief nicht nur wegen der englischen Probleme schlecht, die Franzosen stellten sich unter Charles V. endlich auf die Kampfweise ihres Gegners ein. Offene Feldschlachten, bei denen sie den Langbogenschützen entgegentreten mussten, mieden sie. Stattdessen wählte man eine wirksame Mischtaktik aus Defensive – die Städte und Burgen wurden gut verteidigt – und stoßartigen Attacken in die Normandie und Aquitanien. Darauf hatten die Engländer keine rechte Antwort. Als 1372 eine Flotte des mit Frankreich verbündeten Kastilien die Transportschiffe eines englischen Heeres vernichtete, blieb Edward III. nur noch der Rückzug nach England.

    Sohn Lancaster übernahm von nun an das Kriegsgeschäft und versuchte sich dabei an einem eigenen Unternehmen. Er war ja mit der Tochter des getöteten Peter verheiratet, also beanspruchte er für sich – also, natürlich für seine Frau – die Krone von Kastilien. Von der Führung des Titels alleine konnte sich Lancaster nichts kaufen, er musste Trastamaras Schutzmacht Frankreich schlagen, wenn er seine Thronansprüche auf Kastilien verwirklichen wollte. Lancaster unternahm 1373 einen strapaziösen Marsch durch die Champagne, Burgund und Auvergne, der nur leider nichts einbrachte. Es war mal wieder Zeit für Waffenstillstandsverhandlungen, die 1375 abgeschlossen waren: England blieben auf dem Festland danach nur noch schmale Gebiete um Calais im Norden und Bordeaux im Süden.



    Im Juni 1376 starb der englische Thronfolger Edward, der Schwarze Prinz, mit nur 46 Jahren an der Ruhr. Weil sein älterer Sohn (Edward 1365-1372) bereits im Kindesalter gestorben war, war nun der zweite Sohn Richard (1367) ...



    … der neue Thronfolger von Edward III. - und der betagte König war selbst hinfällig. Es dauerte nach dem Tod des Schwarzen Prinzen tatsächlich nur ein Jahr, bis Edward III. am 21. Juni 1377 auch starb. Er hatte einen Schlaganfall erlitten. Es liest sich nach den ausführlich geschilderten früheren Jahren merkwürdig knapp, was sich in den späteren Lebensjahren des Königs ereignete. Aber es war einfach so, dass sich Edward III. nicht mehr für die Politik oder seinen Krieg in Frankreich interessierte. Sein Charisma war verflogen, in seiner Umgebung machte sich eine Selbstbedienungsmentalität breit. Ein trauriges Ende für diesen König - und seinen Sohn – die in ihren besseren Jahren große Persönlichkeiten, Heerführer und Idealbilder des Rittertums waren.


    … und was passierte danach?



    Lancaster hatte das undankbare Los, von seinem Bruder einen Krieg und von seinem Vater eine Regierung zu übernehmen, die beide im Begriff waren, völlig aus dem Ruder zu laufen. Als mit König Edward III. und dem Schwarzen Prinzen der Glamour-Faktor aus der Gleichung genommen wurde, merkten mit einem Mal alle, dass der Krieg so gut wie verloren und England völlig pleite war. Lancaster sei an allem schuld, befanden die Londoner, die Bürger und eine Handvoll Adeliger unter der Führung des Bischofs von Winchester, und im so genannten „good parliament“ von 1376 präsentierten sie ihm die Rechnung und setzten alle Regierungsbeamten, die er berufen hatte, in einem neuartigen Misstrauensverfahren namens „impeachment“ ab.

    Aber Lancaster ließ sich nicht so leicht entmachten. Nach Beendigung des Parlaments machte er dessen Beschlüsse nach und nach rückgängig. Das stabilisierte die Regierung, nährte aber auch den Argwohn seiner Widersacher. Als König Edward III. 1377 starb, rechneten sie alle damit, dass Lancaster die Macht an sich reißen werde, aber sie täuschten sich. Persönlich organisierte und überwachte er die Krönung seines elfjährigen Neffen Richard, der ein Sohn des Schwarzen Prinzen war und am 16. Juli 1377 zu Richard II. von England gekrönt wurde. In den kommenden zwanzig Jahren sollte so mancher Engländer zu der Erkenntnis gelangen, dass es besser gewesen wäre, Lancaster hätte sich die Krone genommen...

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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  8. #353
    Ewig unbezähmbar! Avatar von LegatBashir
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    Das ist grade die Zeitspanne von "Lächeln der Fortuna" und "Hüter der Rose" von Rebecca Gable.

    Bin mal gespannt wie du die Rosenkriege zusammenfassen wirst Das wollte Gable ja eigentlich nie schreiben, aber hat es dann doch getan und es ist meiner Meinung nach durchaus gelungen. Sie hat sich bei diesen ganzen Johns, Edwards usw. mit interessanten Namensgebungen beholfen. Als Leser war es jedenfalls sehr hilfreich, da man sonst nix mehr gespannt hätte bei der Baguage von Cousins
    ex flammis orior

  9. #354
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    Diese Bücher habe ich mir letztes Jahr auch gekauft, aber noch nicht gelesen... das Kapitel für diese Story habe ich aber schon unter dem wenig originellen Namen "Der Hundertjährige Krieg, Teil 2" vorbereitet. Es umfasst die Zeit von 1377 bis 1444 mit Schwerpunkt auf Henry 5th. Danach kommt ein Kapitel mit England 1444-1485 (für das Startdatum 1444 bereite ich gerade einen umfassenden Rundumblick vor, das für England habe ich vor einigen Wochen geschrieben und gespielt). Bei den ganzen Namen der Rosenkriege habe ich zu einem selbsterstellten dynastischen Schaubild gegriffen, das ich der Übersichtlichkeit halber beim Erzählen nach und nach "enthüllen" werde. Ich habe beim Lesen/Schreiben selber immer wieder draufschauen müssen, um die Übersicht zu behalten.
    Geändert von Mark (06. März 2018 um 21:30 Uhr)
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  10. #355
    Ewig unbezähmbar! Avatar von LegatBashir
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    Falls man Wünsche äußern darf: Wäre toll, wenn du auf die Königsmacher "Neville" eingehen könntest und auch woher deren Macht, Geld und Einfluss kam, denn das ist mir irgendwie nie so ganz klar geworden. Trotzdem fasziniert mich dieser Familienzweig, da er selbst eigentlich nie nach der Krone griff.

    Ich hoffe ich erzähle hier keinen Stuss und mach mich lächerlich
    ex flammis orior

  11. #356
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    Wieso, stimmt doch. Habe mal geschaut.

    Ein Graf Neville war mit der Tochter von John of Gaunt (Sohn von Edward III.) verheiratet und war außerdem der Erzieher des jungen Herzogs Richard von York. Dieser Richard heiratete eine Tochter von Neville und war später verfeindet mit Edmund Somerset, weil er dem den Titel des Herzogs der Normandie hatte abtreten müssen. Als dann für Heinrich VI. ein regierender Kronrat gebildet werden musste, waren die beiden Rivalen um den Posten des Vorsitzes. Die Königin gab Somerset den Posten, aber dank der Hilfe der Neville erlangte York dann die Regierungsgewalt. Unter den Neville war der mächtigste Richard Neville/von Warwick, das war dann der so genannte "Königsmacher".
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    Und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug geraten, und er wird sich in seinem Herzen erheben, und mitten im Frieden wird er viele verderben und wird sich auflehnen wider den Fürsten allen Fürsten.

  12. #357
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    Das nächste Kapitel ist etwas kürzer, umfasst aber trotzdem gleich drei deutsche Könige: Wenzel, Ruprecht und Sigismund.

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  13. #358
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    Das Konzil - Sigismund

    Das Konzil – Sigismund
    Kaiser des Heiligen Römischen Reiches von 1411 bis 1437
    Startdatum: 1. Januar 1374




    Konstanz, am 24. Dezember 1414. In der Stadt, die ansonsten sechstausend Einwohner zählte, versammelte sich die geistliche und politische Elite des Kontinents zu einem Konzil, einem europäischen Gipfeltreffen. An diesem Tag traf der deutsche König Sigismund im Fackelschein in Konstanz ein, um den Vorsitz über das Konzil anzutreten. Auf diese Versammlung, die Weltgeschichte schreiben sollte, hatte er lange hingearbeitet. Da war er, der Mann, dessen Tatkraft man es verdankte, dass dieses Konzil stattfand, auf dem enorme Probleme gelöst werden sollten. Mit Sigismund zogen die mächtigsten deutschen Fürsten ein, die Gesandten sämtlicher europäischer Könige, die Boten aller Reichsstädte, 29 Kardinäle, 300 Bischöfe und hohe Prälaten, über 300 Magister der Universitäten. In ihrem Schlepptau Krämer, Kaufleute, Bankiers, Diener, Knappen, Pagen, Knechte, Bettler, Vagabunden, Fahrende und Dirnen. In der Summe müssen es tausende gewesen sein, die sich zu Gast in Konstanz befanden. Der alten deutscher Kaiser Herrlichkeit schien wieder aufzuerstehen, ihre einstige Rolle als arbiter mundi – Schiedsrichter der Welt, Sigismund hatte sie wieder übernommen.




    1. Sigismund sucht sich einen Thron

    Dabei war sein Weg auf den deutschen Thron überhaupt nicht vorgezeichnet gewesen. Er war zwar der Sohn des Kaisers Karl IV. aus dem Hause Luxemburg (der mit der Goldenen Bulle, siehe das vorherige Kapitel), aber nicht zum Nachfolger bestimmt. Sigismund stammte aus der vierten Ehe Karls IV. mit Elisabeth von Pommern-Wolgast, Tochter des polnischen Königs Kasimir des Großen. Und so hatte Karl IV. geplant, Sigismund einmal auf den polnischen Thron zu bringen. Geboren war Sigismund im Jahre 1367, in die Öffentlichkeit trat er zum ersten Mal mit fünf Jahren, als er von seinem Vater auf einem Hoftag in Prag mit der Mark Brandenburg belehnt wurde.



    Seine Erziehung lag in den Händen mehrerer Humanisten, die ihm vor allem Sprachen beibrachten. Sigismund beherrschte später nicht weniger als sieben Sprachen: Deutsch, Tschechisch, Französisch, Lateinisch, Ungarisch, Italienisch, Polnisch. Und im Gegensatz zu seinem Vater liebte Sigismund das Rittertum und den Gebrauch von Waffen. Ebenfalls mit fünf Jahren wurde Sigismund mit Maria, der zweiten Tochter Ludwigs von Anjou, verlobt.



    Der war König sowohl von Ungarn wie von Polen. Seinem künftigen Schwiegervater wurde Sigismund 1377 zur weiteren Erziehung übergeben. Dabei zog er sich die Abneigung sowohl seiner Schwiegermutter – der ungarischen Königin Elisabeth – als auch deren polnischen Mutter Elzbieta zu. Diese scheinen ihre Abneigung auch auf die junge Maria übertragen zu haben. König Ludwig aber ließ 1382 bereits die polnischen Großen einen Treueid gegenüber seinem von ihm bestimmten Nachfolger ablegen. So weit lief also alles wie geplant bei dem Vorhaben, Sigismund auf den polnischen Thron zu bringen.

    Ludwig hatte drei Töchter, die er unterschiedlich verheiratet hatte, um ein breites Bündnis in Europa zu flechten. Katharina, die erste Tochter, wurde mit einem Franzosen verlobt, und sollte Ungarn in die Ehe einbringen. Die erwähnte Maria war die Braut für den Deutschen Sigismund, ihre Mitgift Polen. Und Hedwig als dritte war sozusagen die Reserve. König Ludwig musste sich 1377 tatsächlich überlegen, wie er sie im Heiratspoker einsetzen wollte, denn da starb die älteste Tochter Katharina, die mit der französischen Ehe. Allerdings war Hedwig zu dieser Zeit erst vier Jahre alt, etwas jung für eine Verlobung. Man musste also schauen, wie es mit Ungarn und Polen einmal weitergehen sollte.

    Im September 1382 war es soweit, da starb der Anjou Ludwig. Der polnische Adel war seit Jahren unzufrieden über die ständige Abwesenheit des Monarchen gewesen und stellte deshalb sofort an Sigismund die Bedingung, dass er seinen ständigen Aufenthalt in Polen nehmen sollte. Als dieser hörte, dass die elfjährige Maria als erste Frau König geworden und die Nachfolge in Ungarn angetreten hatte, lehnte er die Bedingung ab. Ein Teil des Adels wollte daraufhin einen polnischen Kandidaten, ein anderer Teil plädierte für die Einhaltung der Vereinbarung, dass eine Tochter Ludwigs das Königtum übernehmen sollte. Die ungarische Königinwitwe Elisabeth verpflichtete den polnischen Adel auf diese Abmachung. Schließlich wurde Hedwig nach Polen geschickt und dort zur Königin gekrönt. Sigismund sah sich gezwungen, seinen Plan vom Doppelkönigtum aufzugeben und nach Ungarn zurückzukehren.

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  14. #359
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    Das Konzil - Sigismund

    Dort war die Situation verworren, der ungarische Adel in drei Lager gespalten: Einige stützten Maria und ihre Mutter/Regentin Elisabeth, die Frankreich zuneigten und die Luxemburger ablehnten. Andere wollten im Gegenteil mit den Deutschen und mit Sigismund zusammenarbeiten, weil sie die Gefahr durch die Türken sahen. Und die dritte Gruppe votierte für König Karl III. von Neapel (wie der verstorbene Ludwig ein Anjou), der über Kroatien und Slawonien amtiert hatte. Die ungarische Königinmutter tat den ersten Schachzug, löste die Verlobung ihrer Tochter mit Sigismund und versprach sie dem Franzosen Ludwig von Orleans. Sigismund stand vor dem politischen Aus, da wurde sein Konkurrent Karl III. zum unfreiwilligen Helfer. Er machte soviel Druck, dass sich sein Weg auf den ungarischen Thron abzeichnete. In ihrer Not brauchte die Königinmutter nun doch die Unterstützung des Sigismund-Lagers, und so wurde die Ehe zwischen Maria und Sigismund im Jahre 1385 eilig über die Bühne gebracht. Das beeindruckte Karl III. wenig, er ließ sich trotzdem zum König von Ungarn krönen, noch bevor Sigismund in Böhmen ein Heer aufstellen konnte. Also alles verloren? Nein – Anhänger der Königinmutter Elisabeth verübten im Februar 1386 einen Mordanschlag auf Karl und brachten ihn kurz darauf im Kerker endgültig um.



    Dies machte den Weg frei für Sigismund, der mit seinem Heer in den ausgebrochenen Bürgerkrieg in Ungarn eingriff. Elisabeth und Maria wollten nach Karl jetzt auch Sigismund bremsen. Es ging nicht um einen Mord, sie riefen statt dessen Sigismunds älteren (Halb-) Bruder Wenzel als Schiedsrichter an. Ausgerechnet den. Sigismund hatte kein besonders gutes Verhältnis zu seinem Bruder, auch nicht zu seinen Cousins Jobst und Prokop.



    Nach dem Tod von Karl IV. war dessen Erbe auf diese vier Luxemburger übergegangen: Wenzel war deutscher sowie böhmischer König geworden, Jobst und Prokop hatten Mähren bekommen, und Sigismund war wie erwähnt mit Brandenburg belehnt worden. Und an dieser Stelle griffen die lieben Verwandten zu: Für die Vermittlung forderten sie von Sigismund die Preisgabe seiner Mark Brandenburg. Man kann sich denken, dass Sigismund nicht begeistert war von dieser „Hilfe“ seiner Familie.



    Das Blatt wendete sich abermals zugunsten von Sigismund, als Elisabeth und Maria von Aufständischen gefangen wurden. Sigismund wurde in Ungarn die Macht zum Handeln übertragen. Angesichts seiner hohen Schulden und leerer Staatskasse wurde die Rekrutierung von Truppen ein Problem.



    Mit nur wenigen Soldaten belagerte er die Festung, in der die Königinnen gefangen lagen. Währenddessen wurde Elisabeth erdrosselt und über die Mauer geworfen. Sigismund zog sich zurück und erreichte endlich nach langen Verhandlungen unter Zustimmung zu einer einschneidenden Wahlkapitulation, dass er am 31. März 1387 zum König von Ungarn gekrönt wurde.

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  15. #360
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    Das Konzil - Sigismund

    Seine Gemahlin Maria saß weiterhin in Haft. Ihre Befreiung war eine der dringlichsten Aufgaben für Sigismund, er suchte sich Hilfe in Venedig und besiegte mit ihnen die ungarischen Rebellen. Maria kam frei, eine glückliche Ehe mit Sigismund wurde das nach dieser Vorgeschichte aber nicht mehr. Sie erinnerte sich wohl daran, dass Mord ein probates Mittel sein konnte, das Ende von Karl III. hatte das ja gezeigt. Es gab da anscheinend entsprechende Gespräche mit ungarischen Baronen, wie man Sigismund loswerden könnte. Doch aus den Plänen wurde nichts mehr. Das Ehedrama fand sein Ende, als Maria 1395 einen tödlichen Jagdunfall erlitt. So etwas trifft also nicht nur die fähigen 6-6-6 Thronfolger.



    Das Ergebnis in aller Kürze war: Sigismund war nach jahrelangem Ringen endlich König von Ungarn. Nicht von Polen wohlgemerkt, wie es geplant gewesen war. Dort regierte ja Marias Schwester Hedwig, die 1386 den litauischen Großfürsten Jogaila heiratete – der Startpunkt der späteren Union aus Polen und Litauen, wie sie in EU4 zu sehen ist.



    Sigismund saß noch nicht fest auf dem Thron und musste sich mit seinen Verwandten Wenzel und Jost, dem Kampf zwischen Polen und dem Deutschen Orden, sowie dem ungarischen Adel herumschlagen. Sorgen machte ihm aber vor allem aber die Türken, die im Südosten von Sieg zu Sieg eilten. Zwar klopfte Sigismund beim Papst an, um einen Kreuzzug gegen die Türken auf die Beine zu stellen. Aber das Papsttum lag seit 1378 gespalten im Schisma. Von dort war keine Resonanz zu erwarten. Es gab einen anderen, der sich für den Kreuzzug gegen die Türken begeisterte: Herzog Philipp der Kühne von Burgund.



    Hilfreich war ein Waffenstillstand im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich im März 1396. Die Söldner waren ohne Arbeit und ließen sich gewinnen. Dem türkischen Sultan Bayezid blieben die Rüstungen nicht verborgen, er kündigte den Februar 1396 als Termin für seinen Einmarsch in Ungarn an, hielt ihn aber nicht ein. Das bunt zusammengewürfelte Heer der Kreuzfahrer konnte sich im ungarischen Ofen sammeln. Sigismund war zwar der hiesige König, das Kommando über das Heer erhielt er aber nicht, die Party bezahlten schließlich andere. So setzte er sich nicht durch mit seiner Mahnung, die Türken nicht überstürzt anzugreifen.



    Am 25. September 1396 standen sich die ebenbürtigen Armeen mit jeweils ca. 15.000 Mann beim bulgarischen Nikopolis gegenüber. In den Reihen der Türken dienten serbische Truppen, sie waren seit dem heroischen Debakel auf dem Amselfeld (1389) tributpflichtig geworden. Die französischen Ritter im Kreuzfahrerheer gingen wie üblich zum Frontalangriff über, ganz wie es die Ehre verlangte – und wurden von den disziplinierten Sipahi und Janitscharen der Türken zu Hackfleisch gemacht. Beide Seiten erlitten hohe Verluste, aber die der Christen waren schlicht verheerend, ihre Truppen wurden zum großen Teil aufgerieben.



    Für Bayezid war der Weg in den Balkan und nach Ungarn jetzt komplett offen. Aus dem Westen konnte sich wegen des neu aufflammenden Hundertjährigen Krieges kein erneuter Kreuzzug bilden. Sigismund hatte jedoch unerwartetes Glück: Die Türken konnten ihren Sieg nicht nutzen, denn sie erlitten 1402 bei Ankara eine üble Niederlage gegen Timur Lenk (die Timuriden), wobei Bayezid in Gefangenschaft geriet. Der Sultan wurde am Hofe Timurs in Ketten gehalten und musste mit ansehen, wie Timur seine Frau als Sklavin hielt. Einige Monate lang jedenfalls, denn dann starb Bayezid in der Haft. Im Osmanischen Reich brach daraufhin Anarchie aus, einer der bekannten Erbfolgekriege. Für Sigismund eine dringend benötigte Atempause!

    Zunächst einmal musste er einen Anspruch seiner Schwägerin Hedwig auf Ungarn unterbinden. Immerhin war er für die Ungarn nur ein angeheirateter König aus dem Ausland. Sigismund hatte wieder Glück, Hedwig starb nämlich im Juli 1399. Die ungarischen Barone verlangten aber, dass Sigismund langsam mal wieder heiraten sollte. Er entschied sich für Margaretha, die zwölfjährige Tochter des Herzogs Heinrich von Brieg. Das junge Alter der Braut erlaubte es Sigismund, weiter das angenehme Leben eines Junggesellen fortzusetzen. Um es vorweg zu nehmen: Aus dieser Verlobung wurde nichts, Sigismund wurde später gezwungen, die Tochter eines ungarischen Oppositionellen zu heiraten.
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